Kleingaleristen erzählen«Leidenschaft und Idealismus sind unabdingbar»
Von seiner Bieler Galerie kann Martin Jegge nicht leben. Wieso steckt er dennoch so viel Leidenschaft in sein Kleinunternehmen?

Von alten Mauern und hohen Fassaden eingerahmt ein Kiesplatz mitten in der Altstadt Biels. Schmale Holzstelen mit grünen Streifen und blauen Punkten wachsen aus dem Boden, neben einem Tisch plätschert ein kleiner Brunnen. Die nachmittägliche Frühlingssonne wirft ein warmes Licht auf den gemütlichen Innenhof.
Die Glastür am hinteren Ende des Platzes erlaubt den Blick in einen langen Raum, Bilder hängen an dessen Wänden und auf weissen Sockeln stehen Skulpturen. Schräg gegenüber der Glastür steht in unauffälliger Schrift «Gewölbe Galerie». Darunter ist auf einer niedrigen Holztür ein kleines Plakat zur aktuellen Ausstellung namens «Einblicke in das reiche Schaffen von tonyl» angebracht.
Im Gewölbe
«Wir haben viel Geschichte in unserem Haus», meint Martin Jegge und weist auf das beachtliche Alter des Bieler Altstadtgebäudes hin; die Errichtung der ersten Mauern datiert der Archäologische Dienst des Kantons Bern auf das Jahr 1225. Jegge ist Galerist und Geschäftsführer der Gewölbe Galerie, daneben führen er und Beatrice Jegge im selben Gebäude ein Antiquitäten- und Kunsthandelgeschäft sowie eine Werkstatt für Möbelrestaurierungen gegenüber der Galerie. Vor 23 Jahren eröffnete die Gewölbe Galerie mit der Ausstellung «Plastische und andere Arbeiten» des Bieler Künstlers Rolf Scherler. Mittlerweile hat die Galerie über achtzig Ausstellungen gezeigt.
«Der Laden, das Atelier und die Galerie sind ein Krampf. Mit der Galerie erwirtschaften wir nie den Umsatz, den wir zum Leben erzielen müssten.» Aber Martin Jegge ist überzeugt: «Leidenschaft und Idealismus sind unabdingbare Triebfedern. Der Aufwand ist also nicht mit Frust verbunden.» Er fügt an: «Für mich war und ist die Galerie eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung.» Nur durch die Unterstützung seiner Frau Beatrice und zahlreicher Freundinnen und Freunde sei das Betreiben der Galerie möglich.
Interesse am Menschen
«Die Aufgabe einer Galerie ist das Vermitteln und Vernetzen», meint Martin Jegge. Das bedeute, der interessierten Kundschaft den Kontakt mit der Künstlerin oder dem Künstler zu ermöglichen und insbesondere auch den Austausch zu fördern. Anders als auf Internetplattformen sei es in der Galerie möglich, einen direkten Bezug zur Kunst herzustellen, die Dimensionen wahrzunehmen, das Haptische, das Nähe zwischen Kunst und der Welt schafft.
Galerien bieten den Kunstschaffenden eine Plattform. Ein breites, kulturell interessiertes Publikum, das dort verkehrt. Inzwischen habe die Gewölbe Galerie eine umfangreiche Anzahl Kundinnen und Kunden, die jeweils Einladungen zu den aktuellen Ausstellungen erhalten.
Die Galeristin Trudi Lädrach aus Büren an der Aare erzählt Folgendes: «Ich stelle die Kunst von Menschen aus, die leben, was sie machen.» Sie betreibt seit 2003 die ARTis Galerie und hat die aktuelle Ausstellung ihres verstorbenen Ehemannes tonyl in der Gewölbe Galerie mitiniitiert. «Ich bin fasziniert vom machenden Menschen, von der Authentizität der Kunstschaffenden.»

Entscheidend sei, dass ein Mensch hinter der Ausstellung stehe, eine Bezugsperson. Jemand, der Kontinuität verspreche. «Das Vertrauen des Publikums sowie der Kunstschaffenden ist das Erfolgsrezept einer Galerie», meint Lädrach. Interessant sei, die Veränderungen in der Kunst einer Künstlerin oder eines Künstlers mittels Folgeausstellungen zu dokumentieren, findet Martin Jegge.
«Ein Meisterwerk»
Den schmalen, langen Raum mit der gewölbten Decke füllen farbige Skulpturen, die eine faszinierende Lebendigkeit ausstrahlen. Auf weissen Sockeln stehen die unterschiedlich grossen Figuren mit eigensinnigen Gesichtszügen und berührenden Gesten.
Die starken Emotionen des Werkes von tonyl fesseln die Besucherinnen und Besucher, die Menge an Skulpturen und Bildern sei anspruchsvoll und inspirierend, meint Martin Jegge. «Die Arbeiten von tonyl sind ein Meisterwerk, sie stellen Beziehungen her, zum Künstler selbst, aber auch zu den Betrachtenden.»

Trotz der Einschränkungen wegen der Pandemie sei die Ausstellung bisher gut besucht worden. Da aber die Vernissage wegfiel, rechnet Jegge mit einer Umsatzeinbusse von etwa 30 Prozent. «Die Eröffnung einer Ausstellung bedeutet den ersten Kontakt des Publikums mit der Kunst, ein sehr wichtiger, festlicher Anlass, um nachhaltiges Interesse zu wecken», meint der Galerist.
Das Konzept Galerie
Eine Galerie zu haben, bedeute täglich Neues zu entdecken, Begegnungen zu erfahren, spannende Diskussionen und Auseinandersetzungen zu erleben. Trudi Lädrach findet: «Der Weg vom Anfang bis hin zu der Ausstellung ist lang. Die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler, die Kombinationen, die Werke, die Interaktionen und Meinungen, die Presse, die Fragen, die Organisation der Vernissage, das macht mir am meisten Spass. Und dann kommen die Leute oder sie kommen nicht, aber dieser Prozess vorher, der entspricht mir sehr.»
Eine Herausforderung stellt für beide das Generieren von neuem, jungem, interessiertem Publikum dar. Trotz der fehlenden Kaufkraft sei das Einbinden der jüngeren Generationen wichtig für das Fortbestehen von Galerien, aber auch für die Kunst an sich, sagt Lädrach. «Das Interesse und die Freude an Kunst und Kultur müssen erlernt werden», meint sie.
Mittlerweile dürfen Museen und Galerien ihre Türen wieder öffnen. Die Menschen seien noch zurückhaltend, aber das Bedürfnis nach Kunst sei stark zu spüren, findet Jegge. Über die Wiedereröffnung der Ausstellung freuen er und Trudi Lädrach sich: «Seid unterwegs, schaut, schmeckt, bereichert und inspiriert euch!»
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