Legefrequenz, Chopin und das «Werk der Nichte»
Im Zentrum Schlossmatt feierte die Gemeinde Heimiswil eine Altersheimparty. Wir waren dabei und sahen ein «schnadiges Foulard» und einen Mann, der drei Früchtemousses ass.

Es riecht steril, vielleicht etwas nach Kaffee, aber nicht nach viel mehr. Noch sind erst wenige Betagte und Angehörige im Restaurant des Zentrums Schlossmatt in Burgdorf. Nichts deutet darauf hin, dass hier in einer halben Stunde die Altersheimparty steigen wird, wie die Einwohnergemeinde Heimiswil im letzten Anzeiger ankündigte.
Doch plötzlich eilt eine herausgeputzte ältere Dame herbei, späht über das Buffet, erblickt ihre Kollegin und sichert sich mit einem charmanten Zischen deren Aufmerksamkeit. «Du, wenn geits los?», fragt die Erste, «ds Lisbeth isch dert hingere», antwortet die Zweite, und sie machen sich gemeinsam auf den Weg in den anderen Teil des Restaurants.
Nichts wie hinterher. Nun füllen sich die Tische mählich. Rollatoren werden herumgeschoben, Stühle gerückt und Kaffee verteilt. So um die vierzig Senioren und Angehörige sind bestimmt beisammen, als es unerwartet zu «ländlern» beginnt. Aber das scheint nicht zu stören, kaum jemand nimmt Notiz vom Musikerquartett, das vor sich hin örgelt und geigt.

Erst mit der Zeit drehen sich die Köpfe. Derweilen werden Löffel in Vermicelles und Kuchen gestossen, die Portionen in den Mündern abgeladen und das Besteck saubergeschleckt. Scheint gut zu sein, das Zvieri. Ein Zvieri, das die Gemeinde Heimiswil offeriert hat, wie Gemeinderat Peter Burkhalter kurz darauf erwähnt. Und zwar für die Heimiswiler Heimbewohner – und deren Angehörige. Die sonstigen Betagten, die mithelfen die Party zu feiern, werden aussen vor gelassen.
Burkhalter ist Präsident der Kommission für Gesellschaft und Kultur und erklärt, wie es dazu gekommen ist, dass die Gemeinde einen Anlass für «ihre» Altersheimbewohner veranstaltet: «Früher besuchten Kommissionsmitglieder jeden Betagten einzeln, jetzt veranstalten wir jeweils grössere Treffen, an die alle Heimiswiler Heimbewohner, deren Angehörige sowie die Öffentlichkeit eingeladen sind.» Das Ziel davon sei, Kontakte zu schaffen und den manchmal etwas langweiligen Heimalltag aufzupeppen. Das nächste Mal würden die Heimiswiler Betagten im Januar in Oberburg in den Genuss einer Party kommen.
Lieber Keyboard als Örgeli
Doch zurück zur Party, die jetzt läuft. Die Ländlerkapelle macht weiter, und Peter Burkhalter sitzt mittendrin und örgelt munter mit. Er ersetze die Frau eines Musikers, der es nicht so gut gehe. Eine Dame im gestreiften Oberteil schunkelt widerwillig mit und presst die Lippen aufeinander, während ihre Nebenfrau beseelt auf den Tisch klopft. Bald darauf machen die Musiker Pause.

An den Tischen nehmen die Gespräche Fahrt auf. Sie möchte zwar ihren Namen partout nicht in der Zeitung lesen, erklärt eine Frau um die achtzig, darüber, ob es ihr gefalle, gibt sie aber gerne Auskunft. Den Namen will sie nicht preisgeben, eine Beschreibung sei aber okay. Ihr Haar ist zu einem schicken Bürzi gebunden («das Werk der Nichte»), sie trägt einen gerillten, zweifarbigen Pullover und ein «schnadiges Foulard», wie ihre Sitznachbarin bemerkt.
«Ländler ist nicht so mein Geschmack», gesteht die Dame mit Bürzi, «klassische Musik wäre mir lieber.» «Das geht doch nicht», bemerkt ihr Gegenüber, «stell dir vor, die müssten den schweren Flügel hier hereinschieben. Nenei, ds wär de ä Chrampf.» Doch die Frau mit Foulard lässt sich nicht beirren: Ihr Enkel habe ein Keyboard, das sei gut transportierbar, «und das kann auch Chopin».
Am Nebentisch isst ein Mann mit Mütze bereits seine dritte Früchtemousse. Auf Anfrage meint er trocken: «Altern macht hungrig.» Währenddessen wird am nächsten Tisch ein Puzzle ausgepackt. Höchste Zeit, dass die Musik wieder beginnt? Ein Herr würde dem wohl vehement widersprechen, informiert er sich doch gerade bei einem jüngeren Mann, wie es auf dem heimischen Hof so läuft.
Alles will er haarklein berichtet bekommen. Vom Silovorrat über die Legefrequenz der Hennen bis zu den Pferdestärken des neuen Traktors erkundigt er sich nach jedem Detail. Die Musik setzt dann aber doch wieder ein. Die Stadelörgeler Bönigen geben noch einmal eine halbe Stunde alles. Die Gespräche reissen aber dennoch nicht ab, sie werden weitergeführt, einfach etwas lauter. Die Altersheimparty hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Und auch steril riecht es nun nicht mehr.
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