Leclerc fährt in die Unsterblichkeit
Der Monegasse erlöst Ferrari nach neun Jahren ohne Sieg in Monza. Er gewinnt nach einer Treibjagd von Mercedes und überrundet dabei Sebastian Vettel.
Würde er das alles nur irgendwie heil überstehen, er wäre auf einen Schlag unsterblich. Das Problem: Dieser eine Schlag dauerte eine Ewigkeit, es waren 53 Runden oder 306,720 Kilometer, auf denen Charles Leclerc kämpfte, schwitzte, sich wehrte, bis er letztlich entkräftet und euphorisiert zugleich in den Funk schrie: «Yes, Yes, Yes, Yeeeeesssss!»
Premierensieger war der 21-Jährige vor einer Woche in Spa-Francorchamps, nun doppelte er nach, ausgerechnet beim Ferrari-Heimspiel in Monza. Zehntausende taumelten siegestrunken unter dem Podest, die Veranstalter knallten rote, weisse und grüne Konfetti in den Abendhimmel, und Leclerc, der Monegasse, sang inbrünstig «Fratelli d'Italia». Ja, er hatte es überstanden, irgendwie. «Was für ein Rennen!», stiess er ins Mikrofon. «Ich war in meinem Leben noch nie so müde.» Er hatte ja auch eine Treibjagd hinter sich, die nicht viele durchgestanden hätten.
Erst trieb ihn Dauerweltmeister Lewis Hamilton vor sich her, immer bereit zum Angriff. Ab Runde 42, als sich der Brite mit einem Verbremser und dem Umweg über den Notausgang aus dem Kampf um den Sieg verabschiedet hatte, versuchte sich sein Mercedes-Kollege Valtteri Bottas. Und scheiterte ebenso.
Die gütigen Rennkommissare
Sie scheiterten, weil Leclerc ein brillantes Rennen fuhr. Weil sein Ferrari auf den Geraden undwiderstehlich ist. Und weil sich die Kommissare dazu entschlossen, zumindest ein Auge zuzudrücken für den tapferen jungen Mann in seinem roten Auto. Die 23. Runde war angebrochen, als Hamilton neben Leclerc fuhr und dann von seinem Widersacher unsanft auf die Wiese befördert wurde. Der Neo-Ferrari-Pilot hatte dem WM-Leader keine Wagenbreite Platz gelassen, wie er das eigentlich hätte tun müssen, selbst für ein Motorrad wäre es wohl eng geworden zwischen Ferrari und Wiese. Leclerc bekam dafür die schwarz-weisse Flagge gezeigt, nicht die karierte, noch lange hatte er da die dauernde Hetzjagd nicht überstanden. Die Fahne bedeutete: Verwarnung. Das wars.
Vettel dreht sich und sorgt für Chaos. (Video: SRF)
«Ich verstehe nicht wirklich, wie sie mit dem Reglement umgehen», kommentierte Hamilton. «Es ist unglaublich, wir reden das ganze Jahr über solche Sachen. Und dann das. Vielleicht werde ich mich in Zukunft auch so verhalten.» Und weil die Regeln im Büro der Ordnungshüter auch dann grosszügig ausgelegt wurden, als Leclerc beim Anbremsen mehrmals die Richtung änderte, rettete er den Sieg ins Ziel. «Ich habe einige kleine Fehler gemacht, ich muss aufpassen, dass sich das ändert. Hätte ich einen grösseren Schnitzer gehabt, hätte ich nicht gewonnen.» Diese hatten nur die anderen, Hamilton mit seinem Verbremser, Bottas mit einigen Unsauberkeiten. «Ärgerlich», sagte der Finne, ehe er über die kleine Brücke aufs Podest lief.
Weltmeisterlich
Von unten hallten da längst die Leclerc-Sprechchöre. Der Jungpilot hat sich an diesem Sonntag nicht nur endgültig in die Herzen der Ferrari-Fans gefahren, die seit 2010 und dem Triumph von Fernando Alonso auf einen Heimsieg hatten warten müssen, er bewies auch, dass er alles mitbringt, was ein Weltmeister haben muss. Konzentrationsvermögen, Nerven, Kaltschnäuzigkeit. Unter Druck entstehen Diamanten. An diesem Sonntag glänzte Charles Leclerc.
Während sich im Autodromo alle so glückselig in den Armen lagen, ging einer fast vergessen: Sebastian Vettel. Der Deutsche versucht nun schon im fünften Jahr vergeblich, mit Ferrari die Übermacht von Mercedes zu durchbrechen. In Monza hat er auch noch nie gewonnen, seit er 2015 von Red Bull kam. Gestern stand er fern von Glückseligkeit vor den Mikrofonen und hatte sich zu erklären.
Das Rennen des vierfachen Weltmeisters war schon in der sechsten Runde gelaufen. Er drehte sich auf die Wiese, ruckelte ungestüm zurück auf die Strecke, wo er das Racing-Point-Auto von Lance Stroll rammte, dabei seinen Flügel beschädigte und mit 10 Sekunden bestraft wurde – «ich habe ihn nicht gesehen».
Doch das war noch nicht die Höchststrafe für Vettel. Die folgte in Runde 33 von 53, als er die blaue Flagge gezeigt bekam: Er musste Leclerc überrunden lassen. Es war dieses Bild, das alles sagt über die derzeitige Rollenverteilung bei Ferrari.
Giovinazzi kanns doch
Es ging für Antonio Giovinazzi vor allem um Wiedergutmachung. Vor einer Woche hatte der Ferrari-Junior für reichlich Kopfschütteln gesorgt. Die letzte Runde auf der kräftezehrenden Strecke von Spa-Francorchamps hatte begonnen, als er – auf Rang 9 liegend – mit seinem Alfa Romeo über die Strecke schlitterte und in die Reifenstapel krachte. Anstatt zum zweiten Mal Punkte zu holen für die Schweizer, bescherte er den Mechanikern eine Menge Arbeit und dem Team ein nächstes 0-Punkte-Rennen. In Monza zeigte der 25-Jährige, dass er es auch anders kann. Nun rettete er den 9. Rang ins Ziel und feierte in seiner ersten vollen Formel-1-Saison sein Bestergebnis.
Bislang hatte vor allem Kimi Räikkönen dafür gesorgt, dass das einstige Sauber-Team mittendrin steckt im Kampf um die Plätze im Mittelfeld. Gestern war der Finne chancenlos. Weil an seinem Auto neben dem Getriebe auch der Motor getauscht wurde, startete er aus der Boxengasse – und erhielt dann erst noch eine 10-Sekunden-Strafe. Er war auf den falschen Reifen losgefahren. Räikkönens Kommentar? «Es war ein beschissenes Wochenende.»
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch