Wie Venedig an die Chinesen verkauft wird
Die Lagunenstadt erlebt täglich eine Invasion von Touristen aus aller Welt. Von diesem Ansturm profitieren vorab chinesische Investoren. Die Einheimischen haben das Nachsehen: Sie werden zunehmend verdrängt.
Wer Venedig im Sommer besucht, der sieht vor lauter Menschen die Stadt nicht mehr. Täglich stehen sich Touristen aus aller Welt in der Lagunenstadt auf die Füsse und trampeln selbst die entlegensten Winkel der Stadt tausendfach nieder. Diese Invasion ausländischer Besucher vertreibe immer mehr Venezianer aus ihrer angestammten Heimat, weil sie sich das Leben in der von Touristenpreisen dominierten Stadt nicht mehr leisten könnten, berichtet die NZZ in ihrer heutigen Ausgabe. Zudem würden sie durch diese Invasion in ihrem alltäglichen Leben immer mehr eingeschränkt. Während sie zunehmend aus der historischen Altstadt verdrängt würden, profitiere vor allem eine Gruppe vom Ansturm der Massen: chinesische Investoren.
Bäckereien, Metzgereien, Gemüseläden, Zeitungskioske, Schuhmachereien: Läden des täglichen Bedarfs sind im venezianischen Zentrum kaum mehr zu finden, stattdessen säumen Souvenirshops die schmalen Gassen. Die Chinesen hätten zunächst kleine Läden aufgekauft und daraus Souvenirshops für Muranoglas und Lederwaren gemacht. Danach hätten sie Bars und Restaurants gekauft, und nun stünden in Hotels umfunktionierte Palazzi auf den Einkaufslisten. Die ganze Infrastruktur ist nunmehr auf den Tourismus ausgerichtet, und an der Verwandlung Venedigs in einen gigantischen Vergnügungspark finden vorab die Chinesen Gefallen, die im grossen Stil und ohne kulturelle Vorbehalte investieren.
Von chinesischen Immigranten betrieben
Am Beispiel der Muranoglas-Produktion zeigt die Zeitung auf, wie sich die kaum mehr zu bewältigenden Touristenströme auswirken: Auf der für ihr Glas berühmten kleinen Insel Murano liegt ein Grossteil der Fabriken still; die grosse Nachfrage nach Schmuck, Trinkgläsern oder Lampen aus Muranoglas wird mit billigen Fälschungen aus China befriedigt. Und so wird das italienische Freiluftmuseum immer mehr von chinesischen Immigranten betrieben, die ihre Billigware an eine kaufkräftige, konsumwillige Kundschaft verkaufen.
In dieser Stadt gehe es zu und her wie am Wühltisch im Ausverkauf, hat «NZZ Folio» die Situation unlängst beschrieben. Barockpalazzi, Renaissancejuwele, ganze Inseln: Alles müsse raus. Die Ursache ortet das Magazin auf politischer Ebene. Der langjährige Bürgermeister Massimo Cacciari – ein ehemaliger Kommunist – habe wie alle Konvertiten eine extreme Haltung angenommen und die Privatisierung Venedigs mit Verve vorangetrieben. Seine Amtszeit von 1993 bis 2010 (mit Unterbrechungen) sei für Venedig so vernichtend gewesen wie Berlusconi für ganz Italien.
Nebst dem Verkauf grossflächiger, historischer Immobilien an Luxusgüterkonzerne sei er insbesondere mit chinesischen Investoren ins Geschäft gekommen, die nach dem Kauf ganzer Palazzi – wie etwa dem Palazzo Gradenigo oder dem Palazzo Diedo – darin Einkaufszentren errichten. Und allein in den vergangenen fünf, sechs Jahren seien rund hundert Palazzi in Luxushotels verwandelt worden.
Abwanderung im grossen Stil
Die Folgen dieser Vergnügungsindustrie lassen sich mit konkreten Zahlen illustrieren: In den vergangenen 50 Jahren sind 65 Prozent der Venezianer abgewandert, und heute leben gemäss NZZ nur noch 23 Prozent der Bevölkerung – vorwiegend Alte – im historischen Zentrum. Wohnten früher 150'000 Personen in der Altstadt, so sind es heute gerade noch 40'000 – Tendenz sinkend. Auf diese Anzahl kommen gemäss «NZZ Folio» täglich 83'000 Touristen; das entspricht 30,3 Millionen im Jahr. Ein Drittel der venezianischen Wohnungen sind denn auch Ferienwohnungen, die schwarz vermietet werden. Die der Tourismusindustrie angepassten teuren Lebenshaltungskosten sowie mangelnde Jobperspektiven vertreiben Junge aus der Lagunenstadt. Die anfallenden Aufgaben im Service- und Reinigungsbereich sowie in der Altenbetreuung übernehmen jetzt die chinesischen Immigranten. Heute leben bereits 2000 Chinesen in Venedig – Tendenz steigend.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch