«Das Herz ist ein dankbares Organ»
Am Mittwoch startet am Inselspital die «Gesundheitsuniversität». Bei dieser Veranstaltungsreihe verraten Ärzte, wie man Krankheiten erkennt und wie man möglichst gesund bleibt. Den Anfang macht Thierry Carrel.

Herr Professor Carrel, wollen Sie uns Laien zu Medizinstudenten machen?Thierry Carrel: Nein, das ist nicht die Idee. Wir können bei den Veranstaltungen nicht allzu tief schürfen. Es geht vor allem um Aufklärung. Gerade bei Herz-Kreislauf-Krankheiten kann jeder Einzelne viel dazu beitragen, dass er gesund bleibt – oder Warnzeichen früh erkennt.
Zum Beispiel? Brustschmerzen und Atemnot sind Symptome, die auf eine Herzkrankheit hindeuten können.
Sie sprechen am Mittwoch über «fitte Herzen, die länger schlagen». Ist dem tatsächlich so? Die Hoffnung besteht durchaus, dass mit einem gesunden Lebensstil die Alterung des Herzes verzögert werden kann.
Was verstehen Sie unter einem gesunden Lebensstil? Nicht Rauchen, regelmässige Bewegung und eine vernünftige Ernährung – also Normalgewicht halten. Wer diese wenigen Verhaltensregeln beherzigt, hat schon viel erreicht.
Alles lässt sich aber auch beim Herz nicht beeinflussen? Richtig. Es gibt Menschen, die einen erhöhten Blutdruck haben oder erhöhte Blutfettwerte. Beides sind Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Krankheiten. Bei diesen Leuten ist es wichtig, dass sie die Werte mit medikamentösen oder anderen Therapien senken und sich regelmässig kontrollieren lassen. Sind diese Patienten einmal gut eingestellt, haben sie weniger Risiko, herzkrank zu werden.
Lebensstiländerung, Medikamente, Operation – gibt es weitere Behandlungsmöglichkeiten? Ja, auch die Katheterinterventionen gehören dazu. Dabei wird über die Leiste ein Katheter eingeführt. Diese Methode eignet sich zur Untersuchung, aber auch zur Behandlung von verengten Blutgefässen – Stichwort Stent. Dabei spricht man von Interventionen und nicht von Operationen. Dennoch ist bei einem solchen Kathetereingriff das Risiko während der Prozedur nicht geringer als bei einer klassischen Herzoperation. Das wissen viele Leute nicht. Die Vor- und Nachteile der verschiedenen Methoden aufzuzeigen und die Fachbegriffe auszudeutschen – das sehe ich auch als Chance der «Gesundheitsuniversität».
In den 80er-Jahren starben hierzulande noch die Hälfte der Menschen an Herz-Kreislauf-Krankheiten. Heute sind es noch ein Drittel. Ist dieser Erfolg das Resultat besserer Vorbeugung oder besserer Behandlungen? Beides ist der Fall. Heute sind Gesundheitsbewusstsein und Prävention stärker ausgeprägt als noch vor 35 Jahren. Das sollte schon in der Schule beginnen. Auch die «Sekundärprävention» ist besser geworden, das heisst die Nachsorge nach einem Ereignis. Wer heute einen Infarkt erleidet, bekommt Blutverdünner verschrieben und wird medizinisch nachbetreut, damit er nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückfällt. Und natürlich haben auch Notfall- und Herzmedizin grosse Fortschritte gemacht.
Trotz aller Fortschritte sind in der Schweiz Herz-Kreislauf-Krankheiten immer noch die häufigste Todesursache, knapp vor Krebs. Schaffen Sie und Ihre Kollegen es, diesen Spitzenplatz abzugeben? Vielleicht... Wir Herzmediziner haben den Vorteil, dass wir in einer dankbaren Disziplin arbeiten. Kommt es bei Herzpatienten zu einem Rückfall, können wir meist nachbehandeln und für eine immer noch gute Lebensqualität sorgen. Es braucht viel, bis wir sagen müssen: Jetzt können wir nichts mehr machen. In der Krebsmedizin dagegen sind die Chancen bei einem Rückfall vielleicht nicht mehr so gut.
Stehen Sie umso stärker unter Erfolgsdruck? Das ist die Kehrseite. So gesehen sind wir Herzchirurgen und Kardiologen fast Opfer unseres Erfolgs. Die Menschen werden immer älter, die Ansprüche steigen. Die Schweizerinnen und Schweizer leben gern und haben hohe Erwartungen an die Medizin. Heute wollen viele ihre Urenkel aufwachsen sehen. Das Alter allein ist bei uns aber kein Kriterium, ob wir einen Eingriff durchführen. Ein 85-jähriger rüstiger Bergbauer, der noch nie krank war, kann geeigneter sein als ein 70-jähriger Städter, der bereits an Diabetes und einer Nierenschwäche leidet. Wir machen immer eine Gesamtschau.
Sie haben schon über 10 000 Patienten operiert. Hat für Sie das Herz noch eine andere Bedeutung als bloss die einer Pumpe, die Sie reparieren? Im Operationssaal bleibt wenig Zeit für andere Gedanken. Aber es ist klar: Das Herz hat eine grosse Symbolkraft.

Neuere Fotos zeigen Sie Velo fahrend und deutlich dünner. Haben Sie sich selbst eine Fitnesskur verordnet? Das kann man so sagen. Und ich fühle mich heute besser denn je. Ich kann den Patienten ja nicht immer predigen, wie sie leben sollten – und selbst nichts machen.
Prof. Thierry Carrel (56) ist Direktor der Universitätsklinik für Herz- und Gefässchirurgie am Inselspital Bern und Co-Chefarzt der Herzchirurgie an der Hirslanden-Klinik in Aarau.
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