Das ruhige Pendant zu Konstanz
Warum nur fährt alles nach Konstanz? Am anderen Ende des Untersees wartet das ruhige Städtchen Radolfzell mit einem historischen Zentrum, viel Kultur und noch mehr Natur auf. Erst noch ganz ohne Stau.

Fast lautlos gleitet die Helio vom Hafen Radolfzell über den spiegelglatten Untersee Richtung Mettnauer Halbinsel. Nur das Zwitschern der Vögel und das Zirpen der Grillen durchbrechen die Stille. Wir stehen auf dem elektrisch angetriebenen Katamaran mit Solardach und haben das Gefühl, über dem See zu schweben.
Ornithologe Manfred Wieser zückt das Fernglas. «Dort drüben sind ein paar Rostgänse», erklärt er und zeigt zum Schilfgürtel. «Das sind Newcomer, sie kommen aus Mittelasien und sind noch nicht lange Gast hier.» Davor liegt die Liebesinsel – ein Vogelparadies, das von zwanzig Paaren Höckerschwänen, Wildgänsen und weiteren Vögeln bewohnt wird. Es gehört zum Naturschutzgebiet Halbinsel Mettnau, einem der ältesten in ganz Deutschland. Was Ornithologe Wieser hier nicht schon alles gesehen hat: Raubwürger, Pirole, Singschwäne, Schwarzmilane, Grauspechte. «Im Winter haben wir die ganze Vogelwelt zu Gast.»
Gemässigtes Reizklima
Dieser Fleck Erde scheint tatsächlich mit einem guten Klima und viel Lebensqualität verwöhnt zu sein. Im Sommer angenehm warm mit einem kühlenden Seewind, im Winter ein gemässigtes Reizklima. Der Künstler Otto Dix meinte einst über die Gegend: «Ein schönes Paradies. Zum Kotzen schön. Ich stehe vor der Landschaft wie eine Kuh.» Er musste es wissen, lebte er doch von 1936 bis 1969 am Untersee – wie übrigens noch weitere Persönlichkeiten, darunter Hermann Hesse oder Erich Heckel.
Schmuckes Städtchen
Schon einige Jahrhunderte früher landete Bischof Radolf von Verona am Untersee und gründete seinen Alterssitz – die «Cella Ratoldi» – an der Stelle, wo heute Radolfzell liegt. Aus der Siedlung entwickelte sich ein schmuckes Städtchen, das heute über 30 000 Einwohner zählt, diverse Grosskonzerne wie Schiesser Unterwäsche oder Hügli Nahrungsmittel angezogen hat und Sitz von mehr als einem halben Dutzend Umweltverbänden ist. Vor allem aber gilt die Stadt als das ruhige Pendant zu Konstanz am anderen Ende des Untersees.
Es ist nur einen Katzensprung vom Bahnhof in die Altstadt, wo wir auf dem Marktplatz an den Ständen die köstlichen Produkte der Region präsentiert bekommen. Die Bauern von der nahe gelegenen Halbinsel Höri bieten ihre Blumen und Kräuter, Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch feil. Hubert Neidhart, Wirt vom Grünen Baum im Nachbarort Moos, begleitet uns. Er arbeitet schon seit Jahrzehnten nach dem Prinzip der Regionalität und kauft seine Produkte nur im Umkreis von acht Kilometern ein. Eines seiner liebsten Produkte ist die Höri-Bülle, eine rote Speisezwiebel, die es nur hier gibt. «Sie ist feiner und weicher und nur in den Monaten mit ‹r› erhältlich», erklärt Neidhart. Mit Essig und Öl entfalte sie ihren vollen Geschmack, schwärmt er. Natürlich enthält auch seine legendäre Bodensee-Bouillabaisse mit Hecht, Zander und Kretzer von der Höri-Bülle.
Wo die Radolfzeller Highlights stehen, erfahren wir von der Journalistin und Autorin Doris Burger, die seit einigen Jahren in der Stadt lebt. Sie zeigt uns versteckte Innenhöfe, das schmalste Haus an der Schmidtengasse (2,64 Meter breit!) oder das Stadtmuseum in einer alten Stadtapotheke. Wir erfahren von El Niño, der Statue im See, die für die Radolfzeller als Wasserstandsmesser dient. Mal zeigt er seinen Hintern, mal ist er ganz untergetaucht. Doris Burger führt uns vorbei am Münster «Unserer Lieben Frau» und am Münsterturm, der mit seinen 82 Metern der höchste am ganzen Bodensee ist, sowie zum Burggraben entlang der mittelalterlichen Stadtbefestigung mit dem Musikpavillon.
Und natürlich erfahren wir, wie die Radolfzeller ticken. Sie müssen ein festfreudiges Völkchen sein – besonders zur Fasnachtszeit, wenn sie mit ihren bunten Häs-Kostümen durch die Innenstadt ziehen. Dann wird «geklepperlet» mit zwei speziellen Holzbrettchen, die aneinandergeschlagen werden. Aber auch im Sommer feiern die Radolfzeller: das Hausherrenfest. Am dritten Wochenende im Juli wird zu Ehren der Stadtpatrone Theopont, Senesius und Zeno drei Tage lang intensiv gefeiert. Besonders eindrücklich ist die Mooser Wasserprozession, die am Montag früh in blumengeschmückten Booten über den See führt.
750 Jahre Stadtrecht
In diesem Jahr hat die Stadt am Untersee noch einen weiteren Grund zum Feiern: Vor genau 750 Jahren erhielt Radolfzell das Stadtrecht. Rund hundert Veranstaltungen sind übers ganze Jahr geplant – von der Sonderausstellung über Schiesser-Wäsche und den Mittelaltertagen über die internationale Sommerakademie und den Dîner en blanc bis zum Radweg «Tour de Radolfzell» und zu den musikalischen Stadtspaziergängen. Trotz aller Festivitäten findet man aber in dieser Ecke des Untersees auch Ruheoasen. Zum Beispiel bei einem Spaziergang auf der Mettnauer Halbinsel oder an den nahe gelegenen Mindelsee.
Die Autorin reiste auf Einladung von Radolfzell Tourismus.
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