Skandal um OnlinereiseportalLastminute-Manager sind in U-Haft
Im Tessin kam es zu einer Razzia beim Onlinereiseanbieter. Es geht um mutmassliche Tricksereien beim Bezug von 28,5 Millionen Franken Kurzarbeitsentschädigung während der Pandemie.

Tausende Firmen in der Schweiz nutzten das Instrument der Kurzarbeit während der Pandemie. Die Staatshilfe für Unternehmen erfolgte rasch und unbürokratisch – zum Glück, so konnten Entlassungen im grossen Stil vermieden werden.
Doch das unkomplizierte Vorgehen kann auch ein Einfallstor sein für unsaubere Praktiken. So ermittelt die Staatsanwaltschaft Tessin im Umfeld des Onlinereiseanbieters Lastminute. Das an der Schweizer Börse kotierte Unternehmen mit operativem Sitz in Chiasso hatte für die rund 500 Mitarbeitenden bei seinen Schweizer Tochterfirmen Kurzarbeitsentschädigungen von insgesamt 28,5 Millionen erhalten. Zu Unrecht?
Am Freitagvormittag teilte das Unternehmen mit, dass die Tessiner Staatsanwaltschaft für den Gründer und Chef des Unternehmens, Fabio Cannavale, und vier weitere aktuelle und ehemalige Führungskräfte eine Untersuchungshaft von bis zu drei Monaten beantragt hat. Die Entscheidung des Richters für Zwangsmassnahmen lag am Freitagabend vor: Vier von fünf Beschuldigten müssen in U-Haft.
Ein fünfter Beschuldigter, der vorläufig festgenommen worden war, wurde inzwischen vom Ermittlungsrichter selbst aus der Haft entlassen. Um welche Personen es sich dabei handelt, werde nicht kommuniziert. Zudem sperrten die Behörden im Zuge ihrer Ermittlungen Gelder der Gruppe von insgesamt 7 Millionen Franken auf verschiedenen Konten.

Die Lastminute-Gruppe gehört zu den weltweit führenden Playern der Onlinereisebranche und betreibt ein Portfolio bekannter Marken wie Lastminute.com, Bravofly, Rumbo, Volagratis und Jetcost. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 1500 Mitarbeitende, davon 500 in der Schweiz, und erwirtschaftete im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 143 Millionen Euro.
Seit Dienstag festgehalten
Die Tessiner Behörden ermitteln wegen Betrugsverdachts, unrechtmässiger Inanspruchnahme von Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeleistungen und Verletzung des Schweizer Arbeitslosenversicherungsgesetzes, wie am Mittwoch Lastminute selbst und die Tessiner Polizei und Staatsanwaltschaft vermeldet hatten. Betroffen sind die Schweizer Tochtergesellschaften BravoNext SA, BravoMeta CH SA und LMNext CH SA.
Bereits am Dienstag kam es an ihren Standorten in der Nähe von Mendrisio zur Razzia. Die örtlichen Behörden durchsuchten die Geschäftsräume, führten Befragungen durch und beschlagnahmten Material. Sieben Personen wurden dabei festgenommen. Es handle sich um italienische Staatsangehörige im Alter von 33 bis 57 Jahren, teilten die Behörden mit. Drei davon dürften wieder auf freiem Fuss sein.
Nicht aber die Männer auf oberster Managementstufe: Neben Konzernchef Fabio Cannavale wird auch die Nummer zwei, Chief Operating Officer (COO) Andrea Bertoli, noch festgehalten, wie das Unternehmen am Freitagvormittag schreibt. Geschäftsführer Cannavale stammt aus Mailand und ist studierter Ingenieur. Er arbeitete in seiner frühen Laufbahn mehrere Jahre als Berater bei McKinsey. Zudem gründete er in den letzten 20 Jahren mehrere Onlinereiseplattformen. Darunter etwa eDreams Italy, Bravofly oder Volagratis.com. Letztere zwei gehören heute zu Lastminute.

Andrea Bertolis Lebenslauf weist viele Parallelen auf. Der Softwareunternehmer ist seit April 2020 operativer Geschäftsführer von Lastminute. Auch er studierte in Mailand, war selbst Mitbegründer von eDreams Italy und mehrere Jahre bei McKinsey als Berater tätig – teils gleichzeitig mit Cannavale. Zudem war er Direktor von verschiedenen Skigebietsbetreibern in den italienischen Dolomiten. Für beide gilt die Unschuldsvermutung.
Aktie gibt nach
Das Unternehmen, das den juristischen Hauptsitz in Holland hat, gab sich in seiner Mitteilung am Mittwoch noch zuversichtlich, dass die Untersuchungen «kein Fehlverhalten» zutage fördern würden. Am Freitag nun hat sich die Tonlage geändert – nun heisst es nur noch: Das Amt werde weiterhin bei den Untersuchungen unterstützt.
Zudem seien bereits Massnahmen ergriffen worden, um eine «angemessene» Kontinuität im Tagesgeschäft der betroffenen Tochtergesellschaften zu gewährleisten. Das Unternehmen wollte am Freitag auf Anfrage nicht weiter zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Auch die zuständige Staatsanwaltschaft will zum laufenden Verfahren keine weitere Auskunft geben.
Zumindest die Geschäfte laufen wieder rund: Die Gruppe verzeichnete Anfang des Jahres ein Allzeit-Nachfragehoch mit Umsätzen und Bruttoerträgen auf dem Niveau von vor der Pandemie. Jeden Monat erreicht die Gruppe über ihre Websites und mobilen Apps in 17 Sprachen und 40 Ländern über 40 Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Aufgrund der Ereignisse von dieser Woche verliert die Aktie von Lastminute im Schweizer Handel rund ein Viertel ihres Wertes.
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