«Langfristig sind wir alle tot»
Werden die USA heute das «Quantitative Easing 3» ankündigen? Wenn ja: Das wird in dieser Wirtschaftskrise nicht reichen. Es braucht jetzt vor allem Keynes. Teil 2 eines Appells von Redaktion Tamedia-Autor Philipp Löpfe.

Innert Tagen hat sich die Situation der Weltwirtschaft dramatisch verschlechtert. Der Verlust des Triple-A der USA verunsichert die Anleger, die Börsen crashen in Raten. In Europa gelingt es nicht, eine überzeugende Lösung für die Schuldenproblematik zu finden. Die Notenbanken sehen sich zum Handeln gezwungen: Beim US-Fed denkt man bereits laut über ein QE3 nach, ein massives Aufkaufen der Staatsschulden, um das Geld billig zu halten. Die Europäische Zentralbank gibt bekannt, auch italienische und spanische Staatsanleihen zu kaufen. Doch mit Geldpolitik allein kann die Krise nicht mehr abgewendet werden. Es braucht jetzt wieder fiskalische Massnahmen im grossen Stil. Der Staat muss eingreifen und die Wirtschaft unterstützen.
Das bedeutet: Keynes ist so aktuell wie nie zuvor.
John Maynard Keynes war der bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts. Er hat entdeckt, dass in einer Volkswirtschaft nicht nur die Angebotsseite wichtig ist – also wie hoch Löhne und Steuern für Unternehmen sind –, sondern dass auch die Nachfrage eine ebenso entscheidende Rolle spielen. Kurz: Keynes hat demonstriert, dass Sparen und Steuersenkungen für die Katz sind, wenn die Konsumenten nicht konsumieren. Und Konsumenten können halt nur dann konsumieren, wenn sie Geld in der Tasche haben.
Glasklare Erkenntnis
Keynes war nicht nur ein brillanter Analytiker, er war auch ein scharfzüngiger Rhetoriker. Sein wohl bekanntestes Bonmot lautet: «Langfristig sind wir alle tot.» Das war mehr als eine banale Tatsache. Es war die Antwort auf eine endlose ökonomische Diskussion, die auch in der Zwischenkriegszeit geführt wurde. «Ja nicht den Goldstandard aufgeben, sonst haben wir langfristig Inflation», mahnten klassisch liberale Ökonomen mit erhobenem Zeigefinger. Oder: «Ja keine Staatsschulden machen, sonst müssen wir langfristig die Steuern erhöhen.» Keynes hingegen erkannte glasklar, dass kurzfristige Verwerfungen so grosse Schäden anrichten können, dass es viel zu gefährlich ist, sie zu ignorieren und auf eine langfristige Heilung zu warten.
Heute schlittert die Welt einmal mehr in eine «In the long run we are all dead»-Situation hinein. In den USA zeichnet sich eine klassische Verelendungsspirale ab. Die Reallöhne sinken, die Arbeitslosigkeit steigt, Immobilienpreise und Aktienkurse crashen. All dies hat einen Rückfall in eine Rezession wahrscheinlich gemacht. Ein solcher Double Dip wäre der Auftakt zu einer Deflation, und eine solche Deflation hat in den Dreissigerjahren in die Grosse Depression geführt. Wer glaubt, kurzfristig mit Sparen und Steuersenken langfristig diese Entwicklung abwenden zu können, der lebt auf einem anderen Planeten.
Jobs auf Teufel komm raus
Ebenso kritisch ist die Situation in Europa. Auf der Suche nach einer langfristigen Lösung haben die Politiker inzwischen kurzfristig ein Chaos angerichtet, das wirklich gefährlich wird. Nicht nur Spanien und Italien, sondern gar Frankreich gerät nun in den Spekulationsstrudel der Märkte. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass bei der Bevölkerung die Schmerzgrenze erreicht ist. Wenn bald jeder zweite Jugendliche ohne Arbeit ist, dann braucht es wenig, bis es zu sozialen Explosionen kommt. Was derzeit in London abgeht, kann morgen in Madrid, Rom oder Paris passieren.
Es brauche «verzweifelte Methoden in verzweifelten Zeiten» stellt die «Financial Times» heute in ihrem Leitkommentar fest und fordert: «(...) dem Wachstum muss ebenso grosser Stellenwert eingeräumt werden wie der fiskalischen Tugend.» Für Laien kann man dies übersetzen mit: Vergesst die Staatsschulden und schafft Jobs auf Teufel komm raus. Auf Wolke sieben nickt Keynes beifällig mit dem Kopf: Wenn es jetzt kurzfristig nicht gelingt, griffige Lösungen zu finden, dann können wir uns langfristig nur noch damit trösten, dass wir tot sind.
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