Land der Kirchen, Land der Berge
Ein grünes Land mit Städten, in denen Tradition und Moderne aufeinandertreffen. Wer durch die junge Kaukasusrepublik reist, sieht zerfallende Dörfer und Altstädte, trifft auf freundliche Menschen und geniesst köstliches Essen.
Die Frau auf dem Nebensitz lacht, als aus dem Plastiksack auf ihrem Schoss zwei Junghennen die Köpfe in die Höhe strecken. Die Vögel sind Mitbringsel für Verwandte. Bald steigt die Frau aus, die Marschrutka, wie man die Minibusse in Georgien nennt, fährt weiter auf der Strasse von der Hauptstadt Tiflis nach Batumi am Schwarzen Meer.
Wir durchqueren Dörfer mit verwahrlosten Häusern, in deren Gärten Zwiebeln und Kartoffeln spriessen. Daneben grasen Kälber oder Ziegen, scharrt Federvieh. Da sind Weiden, Äcker und Obstbäume: Georgien setzt auf Selbstversorgung. Industrie gibt es kaum. Dafür ist der Tourismus im Aufwind.
Mystik und Glücksspiel
Plötzlich leuchtet das Schwarze Meer stahlblau hinter den supermodernen Hochhäusern von Batumi. Der Busfahrer kennt unser Hotel, das im 4. Stock eines Einkaufszentrums ist. Vom Balkon aus blickt man auf einen Mix aus zerfallenden Altstadthäusern und Wolkenkratzern. Auf dem Meer herrscht reger Schiffsverkehr.
Das war schon in der Antike so. Gemäss der griechischen Mythologie soll Jason mit seinen Argonauten in Batumi gelandet sein. Daran erinnert ein markantes goldenes Denkmal, welches Medea zeigt, die zauberkundige Tochter des Königs Aietes von Kolchis. Jason hat sie der Sage nach geheiratet, um an das Goldene Vlies heranzukommen.
Einwohnermässig bewegt sich Batumi in ähnlichen Bereichen wie Bern. Auffallend sind die zahlreichen Spielcasinos und riesigen 5-Stern-Hotels wie Hilton, Radisson und Sheraton. Wer zwischen den armseligen Marktständen hindurchspaziert, fragt sich, ob diese Hotels und Casinos jemals Kunden haben. Die Antwort: ja, und zwar Türken. Ist die Grenze doch nur einen Katzensprung von Batumi entfernt. In der Türkei sind Glücksspiele verboten.
Kultur und Klettern
Seit einigen Jahren entwickelt sich das kleine Land im Kaukasus zu einer Lieblingsdestination von Kulturtouristen und Bergsteigern. Das ist verständlich. Denn in Georgien steht fast auf jedem Hügel eine christlich-orthodoxe Kirche. Und die Bergketten im Kaukasus sind beeindruckend. 5047 Meter hoch thront der Kasbek auf der Grenze zwischen Russland und Georgien über dem Dorf Stepanzminda, wo lokale Anbieter Touren für Berggänger und Skifahrer organisieren.
Im April liegt noch zu viel Schnee zum Wandern. Der Weg hoch zur Klosterkirche ob Stepanzminda ist vereist und schlammig. Die meisten Touristen lassen sich mit Jeeps hochfahren. Wir spazieren hinauf. Nach knapp drei Stunden erwartet uns im Guesthouse von Taxifahrer Wasili ein kulinarischer Höhepunkt: Der Tisch biegt sich schier unter Salaten, Suppe, Fischröllchen, Kohlrouladen, Hackbällchen, Fladenbrot und Kinkali, mit Fleisch gefüllten Teigtaschen. Dazu fliesst georgischer Wein.
Die singende Wirtin
Da ich nach drei Kirchen genug gesehen habe und weder klettere noch Skitouren wage, machte ich mich auf die Suche nach dem Georgien, das ich mir beim Lesen von Märchen und Gedichten erträumt hatte: ein Land mit schönen, schwarzhaarigen Menschen, schwermütiger Musik und bestickten Kleidern.
Während des zweiwöchigen Aufenthalts sehe, höre und erlebe ich vieles, das zu meinem ganz persönlichen Georgien wird. Zum Beispiel in der Stadt Gori: Dort treffen wir Tamari. Sie führt ein Guesthouse, das mir vor allem ihretwegen unvergesslich bleiben wird: Die 58-jährige Musiklehrerin sprudelt über vor Geschichten, die sie auf Russisch und Englisch erzählt. Wir trinken ein, zwei Schnäpschen, sie redet und lacht, setzt sich ans Klavier und singt berührende georgische Lieder. Danke, Tamari.
Gori ist die Geburtsstadt von Josef Stalin. Ihm ist ein Museum gewidmet. Der rote Teppich zur lebensgrossen Stalin-Skulptur stilisiert den Massenmörder zum Helden, man schaudert, wurden doch in seiner Ära rund eine Million Georgier getötet – in Gori offensichtlich ein Tabuthema.
Georgische Wellness
Zurück in Tiflis ist es Zeit zum Besuch eines heissen Schwefelbades in der Altstadt. Wir weichen uns im über 40 Grad heissen Wasser ein. Nach einer halben Stunde verpasst uns eine resolute Dame ein Peeling der unsanften Art. Sie schrubbt unsere aufgequollenen Körper mit einem harten Rosshaarlappen und giesst Eimer voll Schwefelwasser über uns.
Schichtwechsel. Eine andere Dame knetet uns durch bis zur totalen Entspannung. Diese Behandlungen haben in Tiflis seit Jahrhunderten Tradition. Die heissen Quellen sind für Touristen und Einheimische im wahrsten Sinne ein Hotspot in dieser romantischen, aber leider zerfallenden Altstadt.
Georgisch ist für uns unverständlich und unlesbar. Ältere Menschen sprechen aber gut Russisch. Bei den Jungen ist Englisch erste Fremdsprache, und die meisten Schilder sind englisch beschriftet – ein Signal: Wir sind Europäer. Bleibt zu hoffen, dass Nachbar Russland nichts dagegen einzuwenden hat.
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