Kunststreich des Jahres?
Banksys Methode sagt mehr über unsere Zeit aus als sein Werk.

Eigentlich sollte der britische Graffitikünstler Banksy allein schon für seine Geduld einen Bonus bekommen, denn den Witz mit dem sich selbst schreddernden Bild muss er 2006 ersonnen haben, als er das auf die Leinwand gesprayte Motiv mitsamt dem verdächtig dicken Rahmen (in dem ein Reisswolf versteckt war) in den Kunstmarkt einschleuste. Erst vergangenen Freitag ging die Berechnung auf, der Rahmen schnitt das Bild nach erfolgter Versteigerung bei Sotheby's in Streifen – vor aller Augen und mit weltweitem Medienecho. Einige Augenzeugen glauben, eine dunkle Gestalt im Saal erblickt zu haben, vielleicht den Künstler selbst.
Zwölf Jahre Wartezeit auf eine gute Pointe sind preiswürdig, doch ist die Bezeichnung «Kunststreich des Jahres» für einen wie Banksy wirklich ein Triumph? Der Mann tanzt auf der Rasierklinge der kapitalistischen Widersprüche: Als Systemkritiker braucht er Ansehen, um erfolgreich zu sein, und doch schwächt der Ruhm immer auch seine Glaubwürdigkeit. Schliesslich ist die Massenaufmerksamkeit der begehrteste Rohstoff der global-digitalen Ökonomie; wer sie also erregt, gerät immer in den Verdacht, ein Profiteur und nicht ein Kritiker des Systems zu sein.
Was ist also Banksy? Man muss sich den grossen Unbekannten aus Bristol als einen modernen Don Quichotte vorstellen. Er ist ein militant Ewiggestriger, ein unverbesserlicher Romantiker, ein oft ratloser Kämpfer für die verlorene Sache – viel eher als ein edler Räuber im Stil Robin Hoods, mit dem er auch schon verglichen wurde. Banksys Botschaft ist eine harmlos-liebenswerte, seine Gesellschaftsanalyse nicht besonders spitzfindig und seine Bildsprache… vor allem die ist ein süsser Anachronismus: Mädchen mit Ballons, küssende Polizisten und Blumensträusse statt Molotows? Diese Motive passen besser ins Stammbuch eines Teenagers oder als Illustration zum Musical «Les Miserables» denn zwischen Richter und Picasso.
Nein, Banksy ist kein wichtiger Künstler des 21. Jahrhunderts, er ist aber ein beliebter Kommentator unserer Zeit, mit der Gabe, die Windmühlen der öffentlichen Erregung besonders gut austricksen zu können. Ein Lausbub, den alle mögen. Darum ist die Frage, ob das für etwas über eine Million Pfund versteigerte Bild «Girl with Balloon» nach der Zerstörungsaktion wertvoller oder weniger wertvoll geworden ist, eigentlich unerheblich. Das Werk, egal wie viel man heute dafür zahlt, wird in Zukunft vor allem an die Zeit erinnern, als der selbstzerstörerische Furor der Kunst nicht (wie es etwa noch bei unseren Lokalhelden Tinguely und Luginbühl war) zu heroischen Flammen oder Explosionen als Metapher griff, sondern zu einem bürokratischen Reisswolf.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch