Kunst aus Körpern
Die Verdauung als Performance, das Fleisch als Arbeitsmaterial und «Der Bachelor» als Teil der Hochkultur: Im Zentrum des 20. Bone Performance Art Festival in Bern stehen Kunstschaffende, die sich mit dem Körper auseinandersetzen. Ein Interview mit der neuen künstlerischen Festivalleiterin Sibylle Omlin.

Frau Omlin, Essen ist am diesjährigen Bone Festival nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern eine Performance.Sibylle Omlin:Ja, Maya Minder kocht jeden Abend im Rahmen von «Fermentation & Bacteria» für unsere Gäste. Die Zürcher Künstlerin betrachtet das Verspeisen, die Verdauung und die Ausscheidung als Performance. Der Körper steht im Zentrum des ganzen Jubiläumsprogramms. Schon immer war er zentral für die Performancekunst, doch der Umgang der Künstler mit Körperlichkeit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert.
Inwiefern? Gerade die feministischen Künstlerinnen der Siebzigerjahre wie Gina Pane oder Carolee Schneemann haben ihn als Provokation eingesetzt, um die Politik, sexuelle Gewalt oder Unterdrückung anzuprangern. Heute ist auch in der Performanceszene vieles medialer. Der Körper wird als Material vorgeführt, er wird gefilmt, oder wir nehmen ihn übers Smartphone wahr. Die österreichische Künstlerin Barbis Ruder wird eine Show auf die Bühne bringen, die mit Elementen aus TV-Sendungen wie «Der Bachelor» spielt.
Ruder tritt am zweiten Festivaltag auf, der allein von Wiener Kunstschaffenden bestritten wird. Wien hat eine lange Tradition, was happige Performances angeht. Bei Ruder, Michail Michailov, Katrina Daschner oder Julischka Stengele spürt man tatsächlich, dass sie sich an den Leitfiguren des Wiener Aktionismus abgearbeitet haben – also an Künstlern wie Rudolf Schwarzkogler oder Hermann Nitsch, die in den Sechzigerjahren ihre Körper teils mit Gewalt an die Grenze trieben. Das liegt daran, dass die Auseinandersetzung mit diesen Überfiguren in Wien Teil der akademischen Kunstausbildung ist. In der Schweiz ist das anders, wir haben hier keine so übermächtigen Figuren – ausser vielleicht Manon oder Urs Lüthi.
Von der Zürcher Künstlerin Manon läuft am Festival das Performancevideo «La dame au crâne rasé» von 1978. Haben Sie zum Jubiläum bewusst auf einen breiten Rückblick verzichtet? Wir wollen zeigen, was zeitgenössische Tendenzen sind in Bezug auf Körperlichkeit. Besonders freut mich, dass wir aber auch gestandene Figuren der Schweizer Performanceszene programmieren konnten. So wird etwa die Bernerin Chantal Michel am Rathaus eine neue Arbeit zeigen. Und zum Festivalabschluss spielen Les Reines Prochaines, die Schweizer Frauenband rund um die Basler Performerin Muda Mathis, die seit den späten Achtzigerjahre besteht.
Les Reines Prochaines wirken an der Schnittstelle von Musik und Performance. Die Grenzen der Performancekunst sind schwammig. Ja, das Interdisziplinäre ist wichtig in der Performancekunst. Sprache, Scripts oder Choreografien, wie wir sie aus dem Tanz kennen, werden immer häufiger eingesetzt, etwa bei Gregory Stauffer, der am Bone «Walking» zeigen wird. Eine Arbeit mit extremen Bewegungswiederholungen. Umgekehrt gibt es etwa im Tanz oder Theater immer mehr Performanceelemente, etwa bei Milo Rau. Und viele Performancekünstler bewegen sich heute auf mehreren Feldern, beschäftigen sich auch mit Video- oder Installationskunst.
Wer bestimmt, was Performance ist? Die Kunstschaffenden über ihre Selbstwahrnehmung. Und der Raum: Auch wenn ein Performancekünstler auf einer Bühne steht, ist es nicht die gleiche Situation wie im Theater. Er spielt keine Rolle, die Grenze zum Publikum ist fliessend.
Die Unmittelbarkeit ist eine zentrale Eigenschaft von Performances. Um sie zu erhalten, werden viele auf Video aufgezeichnet. Auch am Bone? Ja, wir zeichnen seit zwanzig Jahren alle Performances auf. Wir verfügen als Veranstalter über das grösste Schweizer Performancearchiv. Die Videos, Fotografien und Dokumente stellen wir auf Anfrage zur Einsicht.
Ein öffentliches Onlinearchiv ist nicht geplant? Dafür fehlt uns derzeit das Geld. Wir schauen immer wieder mit grösseren Archiven, ob wir uns irgendwo anschliessen können.
Ein letzter Blick zurück: Wie hat sich die Wahrnehmung von Performancekunst in der Gesellschaft gewandelt? Heute ist der Trend rückläufig, dass Performances nur als Vernissagenevent gebucht werden. Museale Ausstellungen beschäftigen sich mittlerweile mit der Performancekunst und Performativität, derzeit etwa «The Show Must Go On» im Kunstmuseum Bern. Und die Künstler der Siebzigerjahre sind längst im Markt angekommen, ihre Arbeiten haben einen entsprechenden Wert, und ihre Namen sind über den Kunstzirkel hinaus bekannt. Bestes Beispiel ist Marina Abramovic.
Bone Performance Art Festival: 29. Dezember bis 2. Dezember, Schlachthaus-Theater, Bern, vollständiges Programm unter: www.bone-performance.com.
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