Berner Ideen (21)Kunst abseits von stickigen Räumen
Kunst zeigen, ohne die Corona-Massnahmen zu missachten? Flurina Hack ist überzeugt, dass das schon möglich ist, bevor die Museen am 1. März wieder öffnen.

Es war Mitte Januar, als Flurina Hack das Gefühl hatte, etwas tun zu müssen. «Etwas, das mir, aber auch anderen guttut.» Flurina Hack (53) ist Künstlerin, seit 12 Jahren hauptberuflich. Schon vor dem Corona-Jahr war sie es gewohnt, alleine in ihrem Atelier in den Vidmarhallen zu arbeiten und ihre Zeit selbst strukturieren zu müssen. Vor allem ist Flurina Hack aber auch keine, die angesichts der Corona-Massnahmen lamentiert und jammert – auch wenn sie ihre Werke derzeit keinem Publikum zeigen kann. «Die Corona-Massnahmen sind wichtig», sagt sie und betont, dass ihr Projekt keine Kritik am Lockdown sein solle – sondern «ein Zeichen der Ermutigung». Selbst wenn die Museen erst am 1. März wieder öffnen, soll Kunst Teil unseres Alltags bleiben.
Hack schwebte ein Ort vor, wo Menschen Kunst erleben können, ohne sich versammeln oder in stickige Räume begeben zu müssen. Er sollte zentral gelegen sein, damit man sozusagen ohne Umweg im Alltag daran vorbeischlendert. Sie wandte sich an die Gemeinde Köniz, die ihr bei der Suche half – und ihr schliesslich das leer stehende Schaufenster der alten Coop-Baracke im Zentrum von Köniz vermittelte. Hack nannte ihr Projekt «Das immer noch Mögliche» – genau das sei es nämlich: das, was in der aktuellen Situation noch möglich ist.
Die Coop-Baracke, ein gedrungener Bau, ist, gelinde gesagt, unscheinbar. Oder wie Flurina Hack sagt: «Fürchterlich gruusig» – aber genau das mache es ja interessant. Sobald sie die Zusage für das Fenster hatte, wandte Hack sich an ihre Künstlerkolleginnen und -kollegen. «Schickt mir etwas, das euch und vielleicht auch andere aufstellt», bat sie. Schon kurze Zeit später erreichten sie erste Pakete, sie öffnete Briefumschläge und holte Objekte ab.
Mehr als ein buntes Sammelsurium
Hack erhielt so viele Werke, dass sie sich nicht mit einem zusammengeschusterten Sammelsurium zufriedengeben musste, sondern eine zwar improvisierte, aber sorgfältig kuratierte Ausstellung zusammenstellen konnte. Im Schaufenster hängen Werke etablierter Künstlerinnen und Künstler neben solchen von Anwohnerinnen und Anwohnern.
Künstlerin Sylvia Hostettler, einst mit dem Frauenkunstpreis ausgezeichnet, hat bunte Objekte zur Verfügung gestellt, die an Korallen oder das Gehäuse von Seeigeln erinnern. Clemens Wild vom Kollektiv Rohling hat auf Papiertüten Menschen porträtiert, die während des Lockdown nicht im Homeoffice arbeiten können. Die Mischung aus grellbunten Farben, schwarzem Filzstift und kurzen Texten über die gezeigten Personen erinnern an die Illustrationen einer Graphic Novel. Eine Stickarbeit von Lucienne Hälg, Teil des Kollektivs Gepard 14, zeigt eine pelzige Büste mit entblösster Brust. Im Fenster um die Ecke hängt eine Filzarbeit in Orange und Pink – sie stammt von einer Anwohnerin und fügt sich nahtlos in die Ausstellung ein. «Ich muss mich als Künstlerin nicht abgrenzen», sagt Hack und lacht. «Es ist mehr möglich, wenn man sich nicht immer abgrenzen will.»

So naheliegend die Idee des kuratierten Schaufensters sein mag, so effektiv ist sie: Leute bleiben stehen und schauen. Neulich hätten drei Schulkinder das Schaufenster ausgiebig betrachtet, erzählt Hack. Als Hack ihnen vom Projekt erzählte, fragten die Kinder, ob sie ebenfalls etwas ausstellen dürften.
Die Anekdote ist Sinnbild für die Resonanz, die Hack erhält: Die Leute möchten mitmachen, ausstellen, etwas zeigen. «Kunst ist eine Form von Kommunikation», sagt Hack, «die Leute möchten sich offenbar mitteilen.» Etwas, das online nur begrenzt möglich sei. «Ich bin langsam einfach übersättigt», sagt Hack über die vielen Onlineangebote aus dem Kulturbereich, «und ich glaube, vielen anderen geht es auch so.» Gerade das sinnliche Erleben falle bei digitalen Angeboten weg. Die Kälte, Düfte, vorbeigehende Menschen – all das falle nun mal Weg, wenn man vor dem Tablet sitze. Wie um Hack recht zu geben, zieht der Geruch gebratener Hähnchen herüber. Nur wenige Meter entfernt steht der Stand, wo die goldbraunen Vögel am Spiess drehen. Der Geruch lenkt den Blick geradezu auf ein Bild, das ein enthemmt verknotetes Knäuel Menschenhände zeigt, die auf unangenehme Weise an Vogelklauen erinnern. Die Krallen sind blutrot lackiert.
Auf der Suche nach dem nächsten Fenster
«Natürlich ist Kunst für mich als Künstlerin mein Lebensmittelpunkt – aber die Corona-Krise zeigt, dass es Wichtigeres gibt», sagt Hack und fügt an: «Es ist irgendwie auch tröstlich zu merken, dass man nicht ganz so wichtig ist.» In einer Zeit, in der alle lauter zu schreien scheinen, um ja nicht überhört zu werden, hallt die Aussage nach. Nur manchmal mache ihr der Gedanke Sorge, dass Kunst und Kultur zugunsten von Nützlichkeit immer mehr aus unseren Leben verschwinden könnte. Und darum sucht Flurina Hack nun das nächste Schaufenster. Am liebsten würde sie in Berns Epizentrum ziehen – an den Bahnhof, zu den Ruinen der Stadtmauern in der Christoffelunterführung. Ob die SBB einwilligen, weiss Hack noch nicht. «Aber», sagt sie, «in besonderen Zeiten sind eben auch besondere Dinge möglich.»
Das Schaufenster ist bis Ende Februar 2021 bespielt. Die alte Coop-Baracke befindet sich an der Stapfenstrasse 4, gegenüber der Migros.
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