Kriegsmuster
Abstrahierte Kriegsbilder prangen auf den Teppichen, die Salomé Bäumlin in Marokko knüpfen lässt. Die Textilwerke der Berner Künstlerin thematisieren politische Konflikte und den Versuch, fremde Kulturen zu verstehen.

Teppiche. Wir kaufen sie, ausgewählt nach Farbe oder Muster, passend zum Sofa, legen sie in den Korridor oder unter den Tisch, laufen drüber oder lassen die Kinder darauf spielen. Sie stapeln sich in den Einrichtungshäusern, viele davon maschinell hergestellt, auswechselbar, Massenware. In der Galerie da Mihi am Berner Bubenbergplatz hängen sie an den Ausstellungswänden. Teppiche in nuancierten Grautönen, Einzelanfertigungen, hergestellt nach Zeichnungen und Fotografien der 36-jährigen Berner Künstlerin Salomé Bäumlin.
Sie stehen gegen alles, was Modeteppiche ausmacht: Sie wurden in aufwendiger Handarbeit von Berberinnen im marokkanischen Atlasgebirge geknüpft, hergestellt aus selber gesponnener Wolle. Wolle, die nicht gefärbt wurde: Die Grautöne setzen sich aus dem entsprechenden Mischverhältnis von weisser und schwarzer Schafwolle zusammen. Die Arbeit wird von der Künstlerin fair entlöhnt, die involvierten Frauen erfahren Wertschätzung – anders als in Grossmanufakturen der Dritten Welt.
Intensive Beziehungspflege
Dargestellt sind abstrahierte Einschusslöcher, zerbombte Gebäude oder eingezäunte Territorien. Vorlagen sind oftmals Fotografien, die von der Künstlerin verfremdet und in einzelne Pixel aufgelöst wurden. Aufnahmen, die sie auf ihren vielen Reisen durch die arabische Welt gemacht hat. Während ihres mehrmonatigen Aufenthalts als Artist-in-Residence in Kairo 2011, während der Revolution, als Bäumlin in ihrem Atelier sass und «die Schüsse hörte, die auf dem Tahrir-Platz fielen. Und die Panzer beobachtete, die vor meinem Fenster vorbeizogen.»
Internetbilder aus dem Syrienkrieg. Oder Aufnahmen von Bäumlins Zeit in Marokko. Bis zu siebenmal pro Jahr reist sie ins nordafrikanische Land, lebt dann in Berberdörfern und erarbeitet mit bis zu 40 Teppichknüpferinnen die künftigen Werke. Die Männer im Dorf begegnen dieser Arbeit mal offen, mal mit Skepsis.
«Die Berberinnen denken in Teppichen. Sie übersetzen meine Vorlagen nicht einfach so in textile Muster.»
Eine zeitintensive Arbeit. Nicht nur aufgrund des effektiven Arbeitsaufwands, der sich über Monate hinziehen kann. Die Kulturen sind unterschiedlich. Sehr unterschiedlich. «Ehe es zur Kooperation kommt, müssen Beziehungen aufgebaut werden», sagt die Künstlerin. Bäumlin wird von den Frauen zum Tee eingeladen, zum Essen – alles ist ritualisiert, es gibt viele Fettnäpfchen. Meistens vertrauen die Berberinnen der westlichen Künstlerin nicht auf Anhieb.
Zu viele schlechte Erfahrungen haben sie in der postkolonialen Zeit gemacht mit Auftraggebern, die nicht bezahlt haben. Auch beim Ausführen muss erst eine gemeinsame Sprache gefunden werden – obwohl sich Bäumlin mittlerweile im Berberdialekt und auf Arabisch verständigen kann. «Die Berberinnen denken in Teppichen. Sie übersetzen meine Vorlagen nicht einfach so in textile Muster», erklärt Bäumlin. «So kommt es, dass sie einen Teppich nach meiner Vorlage beginnen, dann aber eigene, uralte Berbermuster einbauen.» Das sei Teil der Kunst. Teil des Geschäfts ist das Verhandeln der Entlöhnung. «Ich schaue, was die üblichen Marktpreise sind für handgemachte Berberteppiche, wäge die Arbeitsstunden und den Schwierigkeitsgrad des Musters ab», so Bäumlin.
Es komme vor, dass plötzlich die Frauen eines ganzen Dorfs vor ihr stünden und mehr Lohn verlangten. «Dann sitzt man zusammen, diskutiert, mit dem Dorflehrer zugegen. Trinkt Tee, verabschiedet sich, lässt dem Problem Zeit – und auf einmal ist es kein Problem mehr.»
Erfassbar – und vereinfacht
Zeit. Ruhe. Geduld. Das Ganze passt nicht zur quirligen Kunstszene, zu Teppichfabriken, zur westlichen Kultur. Bäumlin lebt in zwei Welten. Sie bringt die Ruhe mit zu uns, wenn sie in der Galerie da Mihi sitzt, geerdet, konzentriert, und über ihre Kunst spricht. Textile Kunst, die Schreckliches abstrahiert. «Die Abstraktion hat zwei Seiten: Sie macht etwas fassbar, aber sie vereinfacht auch, was zu Polemik führen kann», sagt Bäumlin. Dieser Zwiespalt ist ihr wichtig. Er durchzieht ihre ganze Arbeit, ihr ganzes Künstlerinnendasein. Denn auch sie kann die fremde Welt, in der sie sich bei den Berbern bewegt, nie komplett erfassen.
Die Rolle der Frau in dieser Gesellschaft, zum Beispiel. Oder die politischen Konflikte in der arabischen Welt. Alles ist eine Annäherung. Ein Versuch, die Welt zu verstehen. Die Teppiche sind Zeugen dieses Versuchs. Sie sind schön. Aber sie wollen nicht gefallen.
Ausstellung: «Salomé Bäumlin – Which Side Are You On?»:ab heute bis 29. April, Galerie da Mihi, Bern.
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