Waschmaschine statt Cabriolet
Die Miss-Schweiz-Wahl nimmt am Samstagabend wieder einen neuen Anlauf. Ist das Format überhaupt noch zu retten? Klar – wenn sich die Marke nicht länger selber schadet, findet eine Berner Markenexpertin.

Da sass sie auf dem Thron. Als ihr die Vorgängerin Stéphanie Berger die Krone aufsetzte, wusste Melanie Winiger, 17, Hobby rhythmische Sportgymnastik, dass ihr ein Jahr Glamour bevorsteht.
Das zitronengelbe Peugeot-Cabriolet, das sie vom Sponsor geschenkt bekam, konnte sie aus Gründen der Jugendlichkeit noch nicht fahren. Doch auf sie wartete ein Leben auf der Überholspur, das wusste auch die Million Zuschauer zu Hause vor dem Fernseher. Es war das Jahr 1996 – und Miss Schweiz zu werden, war der Traum einer ganzen Generation von kleinen Mädchen.
Die jährliche Antwort auf die Schneewittchenfrage, wer denn die Schönste im ganzen Land sei, war ein gesellschaftliches Ereignis, schon Wochen bevor die Samstagabendkiste im Schweizer Fernsehen lief. Und nicht nur Melanie Winiger wurde zur Showbiz-Ikone.
Es war die Hochblüte der Schönheitskür. Gewinnerinnen wie Tanja Gutmann (1997), Jennifer Ann Gerber (2001) oder Fiona Hefti (2004) nutzten den Wettbewerb als Sprungbrett. Sie wurden später Models, Moderatorinnen, Millionärsgattinnen.
Zum Fremdschämen
Spätestens nach Christa Rigozzi (2006) geriet aber das Format ins Trudeln. Die Einschaltquoten sanken von traumhaften 45 Prozent (2007) auf mässige 25,7 Prozent (2011). 2012 fand die Wahl erstmals seit den 1980er-Jahren gar nicht mehr statt, die Organisatoren waren ausgestiegen. 2013 erwarb der Chamer Immobilienunternehmer Guido Fluri die Miss-Schweiz-Rechte und versuchte, das Format zu einer Realityshow umzukrempeln.
Die Miss sollte fortan nicht mehr nur schön sein, sie sollte auch wohltätig sein. Vor der Wahl gab es diverse Sendungen, ein «Missen-Camp», bei dem pro Folge eine Schönheit die Segel streichen musste, bis nur noch 12 Finalistinnen übrig blieben. Aus dem Glamour wurde Fremdschäm-TV.
Die Kandidatinnen mussten das Spiel mitmachen, so tun, als ob es nicht um Schönheit, sondern um Wohltätigkeit ginge. Die 2013 gekürte Schönheitskönigin Dominique Rinderknecht amtete weit weniger glamourös als die Ikonen von einst. Nur Laetitia Guarino (2014) und Lauriane Sallin (2015) erlangten einen noch tieferen Bekanntheitsgrad. Dann war Schluss.
Und jetzt, da man sich eigentlich gerade daran gewöhnt hat, dass es für das Schweizer Identitätsgefühl nicht unbedingt eine offiziell gewählte schönste Einwohnerin braucht, und schon gar keine, die karitativ tätig ist, wird heute Abend eine neue Miss Schweiz gewählt.
Nach einer zweijährigen Pause versucht wieder eine neue Crew, dem Format Leben einzuhauchen. Sie will aus vergangenen Fehlern gelernt haben, sie will es klassisch machen, es soll wieder um Schönheit gehen, Guido Fluris «Krone mit Herz» hat sich nicht bewährt.
Bitte keine Dummchen
Aber lässt sich das althergebrachte Format überhaupt noch retten? Markenexpertin Bala Trachsel ist überzeugt davon. «Die Attribute der Miss-Schweiz-Wahl, Livestyle, Schönheit, Mode, sind Grundtrends», sagt die Inhaberin der Berner Werbeagentur Republica. Sie attestiert der Marke nach wie vor grosses Potenzial. Allerdings habe sich die Show mehr und mehr selbst geschadet. «Mit der Ausfragerei hat man die Kandidatinnen als Dummchen hingestellt.
Damit tut man der Marke einer Miss nichts Gutes: Man nimmt ihr die Wertigkeit und den Respekt.» Schönheit ziehe wie zu den besten Zeiten der Show, ist sie überzeugt. «‹Schön, aber dumm› jedoch nicht.» Sie würde den Organisatoren raten, die Kandidatinnen geschickter zu inszenieren, um an die Erfolge der 80er- und 90er-Jahre anzuknüpfen.
Dass die Show je wieder eine Million Zuschauer vor den Fernseher locken kann, glaubt Bala Trachsel aber nicht. «Die Übersättigung im Unterhaltungsbusiness ist zu gross. Früher gab es den Eurovision Song Contest und die Miss-Schweiz-Wahl, heute gibt es zahllose Formate. Das nimmt der Sendung die Exklusivität.»
Dass Angela Fuchs, Iwan Meyer und Andrea Meyer, die dieses Jahr erstmals für die Austragung des Schönheitswettbewerbs verantwortlich sind, zurück zum reinen Schönheitswettbewerb wollen, sorgte im Vorfeld für Knatsch: Lauriane Sallin, die wegen fehlender Nachfolgerinnen drei Jahre schönste Schweizerin blieb, weigert sich, die Krone an ihre Nachfolgerin weiterzugeben, wie es die Tradition verlangt.
«Ich kann nicht hinter dem Konzept der neuen Organisation stehen, die wieder auf rein äusserliche Aspekte setzt», sagt sie zur «Schweizer Illustrierten». Tatsächlich soll die neue Miss mehr Trendsetterin als Wohltäterin sein: «Wir werden sie als Influencerin schulen», sagt Miss-Schweiz-Organisatorin Angela Fuchs.
Vielleicht leben Totgesagte tatsächlich länger. Der Mädchentraum von der Miss-Schweiz-Krone existiert weiter. Laut den Veranstaltern haben sich über 1000 junge Frauen für die Wahl beworben, 11 von ihnen stehen heute im Final. Alt genug zum Autofahren sind sie alle. Zu gewinnen gibt es aber kein Cabriolet: Der Schönheitskönigin winkt im Jahr 2018 eine Bauknecht-Waschmaschine. Glamour sieht anders aus.
Miss-Schweiz-Wahl: heute, 20.15 Uhr, Sat 1
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