Tragische Befreiung
«Die Signora will allein sein» ist der gelungene Versuch der Berner Autorin Stef Stauffer, die alte Beziehungstragödie von Lydia Welti-Escher (1858–1891) und Karl Stauffer-Bern (1857–1891) mit neuem Leben zu füllen.

Lydia ist die einzige, früh mutterlos gewordene Tochter des Zürcher Unternehmers und Politikers Alfred Escher. Gebildet und verwöhnt. Nach dem Tod des Vaters heiratet sie den Bundesratssohn Emil Welti, mit dem sie sich langweilt.
Welti bittet seinen einstigen Schulkollegen und aufstrebenden Künstler Karl Stauffer, Lydia zu porträtierten. Das führt zu einer Freund- und Gönnerschaft. Das Paar folgt dem Künstler nach Florenz, wo sich Lydia auf eine Affäre mit Karl einlässt und mit ihm nach Rom flieht. Sie will sich scheiden lassen und ihn heiraten.
Doch ihr einflussreicher Schwiegervater lässt sie in ein Irrenhaus sperren und ihren Liebhaber unter erfundenen Anklagen ins Gefängnis. Nach Monaten kommen beide frei, doch sie finden nicht mehr zusammen, und ihr Ruf ist zerstört: Geschnitten von der guten Gesellschaft, zieht Lydia nach Genf, Karl bekommt keine Aufträge mehr. Im Alter von nur gut 30 Jahren stirbt er an einer Überdosis Medikamenten, Lydia öffnet den Gashahn.
Sensibles Psychogramm
Diese tragische Geschichte wurde bereits in mehreren Biografien und einem Theaterstück erzählt. Was hat die Berner Autorin Stef Stauffer bewogen, sie nochmals aufzugreifen? Die 52-Jährige sagt: «Mich hat die Frage beschäftigt, wieso eine Frau freiwillig eine Beziehung abbricht, von der sie sich doch die Erfüllung erhoffte.»
So versetzt sie sich in die eingesperrte Lydia und notiert deren Gedanken und Gefühle. Dabei übernimmt sie Sprachrhythmus und Wortwahl von ihren vielen erhalten gebliebenen Briefen. Distanzierter beschreibt sie in dazwischengeschobenen Kapiteln Karls Absturz.
Als erfahrene Journalistin folgt die Autorin dabei sorgfältig den Quellen, die sie in einer umfangreichen Bibliografie anführt. Erfunden hat sie nur die Figur der Medizinstudentin, die Lydia als Zofe dient. So kann sie der einsamen Gefangenen eine ebenbürtige Gesprächspartnerin geben.
Dabei reift Lydias Überzeugung, dass sie lieber allein bleibt, als sich erneut von einem Mann abhängig zu machen. Auch wenn man sich manchmal über die Ansprüche der zickigen Dame ärgert, berührt doch das sensible, psychologisch stimmige Protokoll der gescheiterten Befreiung.
Stef Stauffer: «Die Signora will allein sein», Münster-Verlag, 251 S.
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