Doris, Ficktor und die Frauen
Doris Knecht, bekannt für intelligente und sehr österreichische Unterhaltungsliteratur, erzählt in «Alles über Beziehungen» die Geschichte eines sexsüchtigen Theaterintendanten. Toll geschrieben, aber leider mit wenig Tiefgang.
Die besten Romananfänge funktionieren wie Gebrauchsanweisungen: Sie beschreiben in komprimierter Form, was den Leser im Folgenden erwartet. Solche Schreibtricks beherrscht Doris Knecht, die österreichische Autorin, Journalistin und Kultkolumnistin beim «Wiener Kurier» («Jetzt erst Knecht») natürlich mit links. Schon der erste Satz in ihrem neuen Roman «Alles über Beziehungen» spiegelt den ganzen Plot in nuce wider: «Reiche, weisse Menschen haben auch Probleme.»
Hypersexuell
In diesem Fall handelt es sich um selbst verschuldete oder eigentlich: selbstverfickte Probleme. Denn Knechts (Anti-)Held Viktor (der am Ende nur noch Ficktor heisst) vögelt sich die Schwierigkeiten effektiv herbei. Zwei Exfrauen, eine Lebensgefährtin und mehrere Geliebte gleichzeitig – das kann ja nicht (ewig) gut gehen. Aber was will man machen, irgendwas Krasses, Aussergewöhnliches muss man heutzutage doch mit seinem Leben anstellen, gerade wenn man schon als Baby völliger Durchschnitt war.
«Reiche, weisse Menschen haben auch Probleme.»
Und weil Viktor «seine immense Durchschnittlichkeit und die daraus resultierende Verwechselbarkeit viel Anlass zu Kummer bot», legt er sich eine Störung des dopaminergen Systems zu – eine Bezeichnung, die dem bald 50-Jährigen mehr behagt als Sexsucht: «Sucht, das war so etwas Niederes, Sucht konnte sozusagen jeder, das konnte sich jeder Idiot zulegen, in irgendeiner Form.» Aber seine schwache Moral, seinen windigen Charakter mit einer so interessanten Diagnose zu ummanteln, seine Hypersexualität zu einer modernen Kulturtechnik und erotischen Kunstform zu stilisieren: Ja, das hat doch sogar Stil. Denkt Viktor, der als (seiner Meinung nach) wichtiger Bestandteil der Wiener Kulturschickeria und neuer Intendant eines Theaterfestivals über so langweiligen wie gewöhnlichen Vorstellungen wie Treue schwebt.
Luft nach oben
Doris Knecht, 1966 geboren und bekannt für ihre zeitgemässen Niederlagen-Epen, kann schreiben, das steht ausser Frage. Wie sie uns wieder einmal einen Ausschnitt aus der Wiener Caffè-Latte-Gesellschaft präsentiert – daran gibt es nichts zu meckern. Das liest sich vergnüglich, schön böse und sehr wahr.
Geradezu köstlich sind ihre herben Austriazismen. Doch sobald ihr Held ins moralische Dilemma rutscht, sich ernsthaft Gedanken übers Fremdgehen macht, gerät auch der Roman aufs Glatteis. Beziehungsweise: So etwas wie existenzielle Tiefe kommt leider nicht ins Spiel. War es in ihrem Debüt «Gruber geht», der es 2011 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte, der «gute alte Krebs», der Knechts Protagonisten aus der Bahn geworfen hat, so begnügt sich die Autorin nun mit ein paar dunklen Andeutungen über abgründige Verwicklungen.
Ein Betrüger, dessen Geliebte jederzeit «die Bombe hochgehen» lassen könnten, birgt viel erzählerisches Potenzial. Schade also, dass Knecht die innere Entwicklung ihres Protagonisten im Schnelldurchlauf abhakt und ihre Leser mit den aufgeworfenen philosophischen Fragen – «Wenn niemand von einer Affäre wusste, war sie dann überhaupt manifest? Existierte die Affäre dann überhaupt?» – ratlos zurücklässt. Was die Dramaturgie und den Grundkonflikt betrifft, ist noch Luft nach oben.
Doris Knecht: «Alles über Beziehungen», Rowohlt Berlin, 288 Seiten.
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