Sergio Ermotti zurück bei der UBSBumerang-Chefs werden zu den Rettern in der Not
Von «Katastrophen-Franz» bis Bankenretter Ermotti: Warum die Schweiz in Krisen nach Heldinnen und Helden schreit – und welcher Druck auf ihnen lastet.

Müssen wir uns in Eile entscheiden, setzen wir auf das Altbewährte. Das Sauerteigbrot, das letztes Mal schon so gut geschmeckt hat. Die Levis-Jeans, die einfach immer sitzt.
So ähnlich lief es diese Tage auch bei der UBS. Um die Monsterfusion mit der Credit Suisse zu meistern, holt sich die Grossbank den ehemaligen Chef Sergio Ermotti zurück (lesen Sie hier das Porträt). Die Finanzwelt jubelt über den «ausgewiesenen Kenner», sieht im 62-Jährigen den «Richtigen für diese herausfordernde Aufgabe». Einer, der die UBS schon mal auf Vordermann gebracht hat.
Kurz: Die Schweiz hat ihren Retter in der Not zurück.
«Rettermentalität» hat in der Schweiz Tradition
In den USA gibt es dafür einen süffigen Begriff: der Bumerang-Chef. Von diesen gibt es einige bekannte Beispiele. Letzten November etwa wurde Bob Iger zurück an die Spitze von Disney geholt, um den Konzern aus den finanziellen Schwierigkeiten zu retten. Zum dritten Mal kehrte Starbucks-Gründer Howard Schultz vor einem Jahr als Chef der Kaffeekette zurück. Apple-Gründer Steve Jobs war ebenfalls ein Bumerang-Chef: Als er 1997 zum Unternehmen zurückkehrte, rettete er es vor dem Bankrott – mithilfe des iPhones.
Auch die Schweiz hat ihre Bumerang-Führungspersonen. Bankerlegende Oswald Grübel etwa, bis 2007 Chef der Credit Suisse. Zwei Jahre später holt ihn die UBS als Sanierer aus der Pension.

Oder Stadler-Rail-Patron Peter Spuhler, der kurz nach der Stabsübergabe 2020 wieder Firmenchef wird, um «auf die alte Flughöhe» zu gelangen, wie er später sagen wird. Der Luzerner Wäschehersteller Calida setzt gerade den ehemaligen Konzernchef Felix Sulzberger zurück an die Spitze des Verwaltungsrats.
«Es geht weniger um das Altbewährte», sagt der ehemalige Topmanager Matthias Mölleney, der das Center for Human Resources Management & Leadership an der Hochschule für Wirtschaft leitet. «Vielmehr will ein Unternehmen in der Notsituation keine Risiken eingehen. Jemand Neues in die Chefposition zu holen, ist bereits risikoreich genug. Also holt man eine Person, die weiss, wie der Laden läuft.»

Mölleney war der letzte Personalchef der Swissair. Er kennt den Krisenmodus. Und begleitete Swissair-Chef Mario Corti, der 2001 als Retter zur Airline geholt wurde. Wenige Monate später kam es dennoch zum Grounding. «Diese Rettermentalität hat in der Schweiz Tradition: Läuft etwas schief, suchen wir zuerst den Schuldigen, dann die Erlöserfigur, die alles wieder hinbiegen muss», sagt Mölleney.
Was ihn immer wieder erstaunt – sei es in der Politik mit einem konsensorientierten Bundesrat doch genau umgekehrt. «Dort erwarten wir eine Ausgewogenheit.» In Deutschland seien Führungsaufgaben häufig breiter verteilt. Und das ist gut, findet Mölleney: «Wir müssen uns von diesen Leitwolfhelden verabschieden. Gelingt eine solch schwierige Übung, wie sie jetzt der UBS bevorsteht, dann ist das ein Teamerfolg.»
«Helm auf und durch»
Der Druck, in Notsituationen die Führung zu übernehmen, ist gewaltig. Das weiss auch Franz Steinegger, gern «Katastrophen-Franz» genannt. Der ehemalige FDP-Präsident leitete über 30 Jahre lang den Urner Führungsstab. Er musste mehrere schwere Unwetter bewältigen. Und rutschte ebenfalls in der Not in diese Position: Als 1975 ein grosses Lawinenereignis geschah, sass der zuständige Regierungsrat fest – und übergab dem damals 32-jährigen Steinegger per Telefon die Verantwortung.
Das Vorgehen sei stets dasselbe: «Zuerst holt man sich alle wichtigen Informationen, setzt Prioritäten – und ganz wichtig: Man muss sein Team kennen.» Trotzdem machte dem heute 80-Jährigen die grosse Verantwortung teils zu schaffen.

Besonders, als ihn der Bundesrat 1999 als Präsidenten der Expo.02 einsetzte. Die schweizerische Landesausstellung stand kurz vor dem Scheitern. «Mich hatte das psychisch belastet. Ich hatte einen intakten Ruf, weshalb ich mich hie und da fragte: Kann ich das bewältigen? Kriege ich das nicht hin, ist der Ruf dahin.» Umso wichtiger sei die Unterstützung von oben. «Ich sagte mir in solchen Situationen immer: Helm auf und durch.»
Bei Doris Russi Schurter hiess es hingegen: tief durchatmen. Die Rechtsanwältin und ehemalige Verwaltungsratspräsidentin der Helvetia-Versicherung musste gleich zweimal in der Not die Führung übernehmen. Einmal 2015, als der VR-Präsident und frühere Konzernchef Erich Walser unerwartet verstarb. Und nochmals drei Jahre später, als Pierin Vincenz wegen der Raiffeisen-Affäre abrupt gehen musste.
«Meine Erfahrung hat gezeigt, dass Frauen mehr Respekt vor solchen Aufgaben haben.»
«Im ersten Moment atmet man einfach mal tief durch und überlegt sich: Was heisst das für mich? Kann ich das?» Dass es weniger Retterinnen in der Not gibt, liegt mitunter wohl auch daran, glaubt Russi Schurter: «Meine Erfahrung hat gezeigt, dass Frauen mehr Respekt vor solchen Aufgaben haben und sich eher überlegen, ob sie qualifiziert genug sind.»
Kommt hinzu, dass der Anteil der Frauen in Führungspositionen noch immer tiefer liegt als bei den Männern. Entsprechend kleiner ist die Auswahl an möglichen Krisenmanagerinnen. «Ich stelle aber mit Freude fest, dass punkto Frauen in den Führungsetagen viel passiert», sagt Russi Schurter.

Eines haben die meisten Retterinnen und Retter in der Not gemeinsam: den «Call of Duty». Wie Sergio Ermotti hörte auch Russi Schurter den Ruf zur Pflicht: «Ich war schon lange bei der Helvetia in verschiedenen Funktionen, hatte ein grosses Verantwortungsgefühl.» Zudem können sie Geschichte schreiben. «Ich wusste: Eine solche Gelegenheit kriege ich wohl nie mehr.»
Ausser, der Bumerang kommt zurück.
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