Kara Walker im Kunstmuseum BaselKönnen ihre Zeichnungen den Teufel des Rassismus austreiben?
Die afroamerikanische Künstlerin zeigt erstmals in Europa ihre erschütternden Zeichnungen, in denen sie sich mit ihrem Leben in einer rassistischen Gesellschaft befasst.

Eines der schockierendsten Bilder in der Basler Ausstellung ist Kara Walkers Rollenporträt von Barack Obama, den sie in einer grossformatigen Pastellmalerei als Othello, den Mohr von Venedig aus Shakespeares Tragödie, darstellt. Anders als im Theaterstück hält er aber nicht den abgeschlagenen Kopf des Intriganten Jago auf seinem Schoss, sondern jenen seines Widersachers Trump, dem er grad auch noch das linke Auge ausgedrückt hat.
In einem anderen Bild stellt die afroamerikanische Künstlerin den schwarzen US-Präsidenten in der Pose des Heiligen Antonius dar, der von infernalischen Kreaturen gequält wird. Diese sehen aus, wie wenn sie direkt aus Martin Schongauers berühmtem Kupferstich «Die Peinigung des hl. Antonius» (1475) entsprungen wären. Walker erklärt zu dem Bild, dass sich Obamas Qualen explizit auf die Attacken der «Birther» beziehen würden, den Anhängern jener Verschwörungstheorie, wonach Barack Obama nicht in den USA geboren sei und deshalb nicht Präsident der Vereinigten Staaten hätte werden dürfen.
Indes, es sind nur ganz wenige Pastellmalereien in der Ausstellung von Kara Walker im Kunstmuseum Basel zu sehen. Im Zentrum der aufwühlenden und manchmal erschütternden Schau stehen vielmehr ihre Zeichnungen aus den letzten rund dreissig Jahren, die zum ersten Mal überhaupt in einer grossen Ausstellung in Europa zu sehen sind. In ihnen setzt sich die Künstlerin mit dem Horror im Leben der Schwarzen Amerikaner auseinander, der uns aus fast jeder Zeichnung entgegen schreit.

Bekannt und berühmt geworden ist die 51-jährige Kara Walker, deren Familiengeschichte sich bis in die Zeit der Sklaverei zurückverfolgen lässt, aber nicht durch ihre Zeichnungen, sondern durch ihre monumentalen Scherenschnitte, die Dutzende von Metern breit sein können. Meist schwarz auf weiss erzählen da elegante Schattenfiguren von Rassismus und Sklaverei. Wie die Schattenprozessionen des südafrikanischen Künstlers William Kentridge haben diese Figuren keine perspektivische Tiefe. In der Schweiz waren Walkers Wandbilder wiederholt an der Art Basel Unlimited zu sehen.
Traumatische Erlebnisse
In der Kunst von Kara Walker wird die Geschichte der Sklaverei und des Rassismus als Amalgam aus historischen Tatsachen, Legenden und Mythen erzählt. Oft speisen sich die Motive auch aus traumatischen Erlebnissen und kollektiven Erinnerungen, die sich dann einstellen, wenn die Künstlerin mit rassistischen Ereignissen konfrontiert wird. In den Zeichnungen spürt man die Betroffenheit der Künstlerin und ihr Leiden an einem Rassismus viel mehr noch als in den sauberen Scherenschnitten oder den monumentalen Skulpturen, mit denen sie in den letzten Jahren auf sich aufmerksam machte.

So hat sie 2014 in einer ehemaligen Zuckerfabrik in Brooklyn (New York), eine schneeweisse, aus Zucker und Styropor geschaffene Sphinx aufbauen lassen. 23 Meter lang, 10 Meter hoch und 7 Meter breit war diese erhabene Überrumpelungskunst: Eine sexualisierte Skulptur, die eine bis auf ein Haarband ganz und gar nackte schwarze Frau darstellte, mit gigantischen Brüsten zwischen den aufgestützten Armen, das Gesäss und die Genitalien waren entblösst. Ein Werk, mit dem Walker rassistische Klischees ausstellte und zugleich denunzierte, oder, wie die amerikanische Kunsthistorikerin Rebecca Peabody vom Getty Research Center sich ausdrückt, ein Werk, das «rassistische Fantasien exorziert oder exerziert».
Zeichnen als Exorzismus
Und wie recht sie mit dem Exorzismus doch hat! Denn im Reich der Zeichnungen der Kara Walker kommt man sich als Besucher ein bisschen vor, wie wenn man einer Teufelsaustreibung beiwohnen würde. Für empfindliche Gemüter sind diese Zeichnungen nichts. Sie zeigen das Kunstwerk im Prozess seiner Entstehung und legen intime, obszöne und mithin auch schrecklichste Ereignisse offen.
Oft ist Walkers Zeichenstift suchend und irrt auf dem Papier herum, bis er die richtige Linie gefunden hat. Dann wieder nimmt sie einen Pinsel, den sie in braune oder rote Farbe getaucht hat, und führt ihn schwungvoll über das Papier, sodass ganz einfache, fast Comic-haft typisierte Figuren entstehen. Bei den neueren Arbeiten fühlt man sich auch an Renaissance-Zeichnungen erinnert, die mit Weisshöhungen und dunklen Lasierungen arbeiten, dann wieder scheinen die Vorbilder dieses in stilistischer Hinsicht alles andere als einheitlichen Werks aus dem 19. Jahrhundert zu stammen.

Kara Walker legt Wert auf die Feststellung, dass ihre Zeichnungen nie als direkte Zeugnisse oder gar als Beweisstücke gelten können. Viel eher sind sie als künstlerisch überhöhte Darstellungen zu interpretieren, die aus dem Alltag einer schwarzen Künstlerin entstanden, die sich alles andere als integriert fühlt. Denn noch immer spricht die längst arrivierte US-Künstlerin davon, dass sie eine Randexistenz in den USA führe und nicht wirklich zur amerikanischen Mehrheitsgesellschaft gehöre.
Sie putzt nicht, sondern kotzt
Im Vorwort des Katalogs verweist Kara Walker auf eine Schlüsselszene in ihrem zeichnerischen Werk. Da kniet eine nackte schwarze Frau vor einem weissen Mann, der seinen Fuss auf ihren Kopf gestellt hat, wie wenn es sich um einen Schuhputzschemel handelte. Die so erniedrigte Frau putzt aber nicht, sondern kotzt. Walker bringt ihren Widerstand gegen einen als omnipräsent erlebten Rassismus so auf den Punkt: «Ich schwelge in der widersprüchlichen Pose der unterwürfigen Miss, die zwar gibt, aber ‹nicht das, was er verlangte›.»

Ihrem Kampfgeist zum Trotz, den die schwarze Freiheitskämpferin in den mit «A Shocking Declaration of Independence» betitelten Zeichnungen wohl am besten zum Ausdruck bringt, erinnert die Künstlerin auch immer wieder an das Frustrierende und Sisyphos-hafte ihres Kampfs.

So flieht in der komplexen, grossformatigen Zeichnung «Yesterdayness in America Today» eine schwarze, nur mit Schuhen bekleidete Frau vor einer geisterhaften Frauenfigur, die wie ein Dirigent mit einem Bambusrohr auf sie zeigt. Sie rennt auf einen laut singenden Rockmusiker zu, der Züge von Elvis Presley und Donald Trump aufweist.
Dabei wird sie beobachtet von mehreren passiv wirkenden schwarzen Figuren, die sie laufen lassen, sie anbeten oder gar zu stoppen trachten. Im Hintergrund wandert gar eine schwarze Kleinfamilie in schöner Eintracht davon.
Das Bild, das sich stilistisch an die runden und fliessenden Formen der Wandgemälde von Thomas Hart Benton (1889–1975) anlehnt, eines weissen Künstlers, setzt das Spannungsfeld, in dem junge afroamerikanische Frauen leben, meisterhaft in Szene: Zwischen schwarzem Moralismus und einer dröhnenden, von Weissen beherrschten Popkultur werden sie beinahe in den Wahnsinn getrieben.
Kara Walker: «A Black Hole Is Everything a Star Longs to Be», Kunstmuseum Basel, bis 26. 9.
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