Kniefall vor dem Kapitalismus
Mit dem Einzug der Young Boys in die Champions League transpiriert das rot-grüne Bern plötzlich die Begeisterung für kapitalistische Millionengeschäfte aus allen Poren. Ein Lehrstück in selektiver Wahrnehmung.

Bern hat Helden. Richtige, gestählte gelb-schwarze Helden, von denen einer am letzten Dienstag auf dem Rasen des Fussballstadions in der kroatischen Hauptstadt Zagreb zweimal einen Ball ins Tor beförderte. Und in Bern zum zweiten Mal innert vier Monaten eine kollektive Erregung südländischer Intensität auslöste. Champions League! Das ganz grosse Ding im ganz kleinen Bern!
Der Schweizer-Meister-Titel von YB Ende April, er war, nach 32 Jahren ungestillter Sehnsucht, historisch. Nun die Qualifikation für die Champions League, erstmals in der Vereinsgeschichte, sie ist irgendwie superhistorisch. Genauso wie der Rückflug der kickenden Heroen in einer Skywork-Maschine aus Zagreb: Nur Stunden nach dem begeisterten Empfang im Belpmoos war die Fluggesellschaft Skywork Geschichte. Wahnsinn!
Der Historische Verein des Kantons Bern ist gut beraten, ein neues Thema auf die Agenda zu nehmen: the history of BSC Young Boys. Und vielleicht wird sich 2018 dereinst als das Jahr herausstellen, in dem Bern anders zu ticken begann.
2018 ist schon jetzt das Jahr, in dem das rot-grüne Bern jegliche Berührungsängste vor dem kapitalistischen Fussballbusiness verlor.Fast 30 Millionen Franken brutto fliessen mit der Qualifikation für die Champions League ins YB-Headquarter an der Papiermühlestrasse. Einfach so. Bei jedem gewonnenen Punkt käme eine Million hinzu.
YB kann alle sechs Spiele gegen Juventus Turin, Valencia und Manchester United verlieren: egal. Die Millionen tropfen herunter wie Herbstniederschläge, und in Bern finden es alle nur grossartig. Selbst linke Konsumkritiker werden mit glänzenden Augen den Aufpreis für die Tickets zu YBs Champions-League-Spielen zahlen und umgehend ein Selfie posten. Der böse Markt, er ist plötzlich so cool, wir machen brav mit, weil YB dabei ist.
Denn die gelb-schwarze Euphorie hat die gespenstische Kraft, moralische Bedenken mindestens vorübergehend aus dem Bewusstsein zu verbannen. Würde sonst eine Unternehmung mit einem Schlag 30 Millionen Franken einnehmen, richtete sich der typisch bernische Gedankenreflex sofort auf den Spitzensteuersatz.
Bei YBs Millionenzufluss: eine tiefe Verbeugung. Topverdienern steht man in Bern gerne kritisch gegenüber. Bundesräte (Jahreslohn knapp 500'000 Franken) oder Berner Regierungsräte (knapp 300'000 Franken) garnieren genug, findet man. YBs vergötterte Fussballarbeiter, Doppeltorschütze Guillaume Hoarau allen voran, verdienen teilweise mehr als doppelt so viel wie das politische Spitzenpersonal – aber alles gut: YB-Giele sy halt eifach geili Sieche.
Politische Anliegen wie die Konzernverantwortungsinitiative, die bei multinationalen Firmen auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards pocht, haben im rot-grünen Bern grossen Sukkurs. Die umstrittene halb staatliche russische Erdgasfirma Gazprom, die sich mehrheitlich um «Konzernverantwortung» foutiert, ist einer der Champions-League-Sponsoren und so indirekt Mitabsender von YBs 30-Millionen-Zustupf. Das YB-begeisterte Bern signalisiert: Kein Problem, Herr Putin.
David Stampfli, glühender YB-Fan, geschäftsführender Sekretär der kantonalen SP und Grossrat, gibt unumwunden zu, dass man als linker YB-Anhänger in Widersprüche gerate, die «man letztlich wohl nie ganz auflösen kann». Das ins Absurde eskalierende Milliardengeschäft der Champions League und die astronomischen Saläre der Spitzenspieler liessen sich mit linker Weltanschauung nicht vereinbaren. Eigentlich.
Vorfreude und Stolz über YBs Coup seien aber dennoch riesig. Saisonkartenbesitzer Stampfli wird sich die 100-Millionen-Fussballer Cristiano Ronaldo und Paul Pogba live im Stade de Suisse nicht entgehen lassen. Trotzdem findet er: Kritische Fragen seien «absolut berechtigt». Wenn man sie aufwerfe, würden sie wohl bei der YB-Führung das Bewusstsein zusätzlich schärfen, auch an die Allgemeinheit zu denken.
«Kritische Fragen sind absolut berechtigt.»
Werde der Millionenzufluss umsichtig investiert, glaubt Stampfli, profitiere der gesamte Verein und damit etwa auch die Juniorenabteilung, mit der YB eine monetär kaum berechenbare, aber sehr wertvolle gesellschaftliche Aufgabe wahrnehme.
Abgesehen davon: Stampfli findet es richtig, wenn YB und seine Spieler ganz normal besteuert werden, sodass die Allgemeinheit auch auf diesem Weg vom gelb-schwarzen Aufschwung profitiert. Elegante Argumentation: Gut eingesetzt, verlieren die giftigen Champions-League-Millionen für das kapitalismuskritische Bern den Schrecken.
Darin, sich in eine schöne Geschichte zu betten, haben die Young Boys ja Geschick: Sie zelebrierten den langen Weg zum Meistertitel virtuos als romantisches Berner Herzensprojekt gegen die Basler Grosskapitalisten mit ihren Pharmamillionen.
Die Fussballunternehmung YB hat den Nimbus eines generösen Wohltäters. Und man blickt locker darüber hinweg, dass das heutige YB ohne den Einschuss Dutzender Millionen der Zürcher Unternehmer Hans-Ueli und Andy Rihs undenkbar wäre.
Die Zürcher Subvention der grossen Berner Fussballträume war nötig, weil die Berner Wirtschaft – mit Ausnahme von Bruno Marazzi – Investitionen in das latente Hochrisikogeschäft YB scheute. Nun sind die gelbschwarzen Helden im schwindelerregenden Superbusiness angekommen.
Und es ist, als würde es sich genau jetzt auszahlen, dass man in der Beziehung zwischen Bern und den Young Boys hartnäckig die selektive Wahrnehmung trainierte. Man könnte auch sagen: In dieser Disziplin sind wir längst reif für die Champions League. Hopp YB!
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