Knallige Farben liegen ihr auch mit 100 Jahren
Die Augwilerin Fanny Ackermann schneidert sich im hohen Alter noch alle Kleider selbst.
Von Florian Schaer Lufingen – Komisch würden sich die Leute heute anziehen, findet Fanny Ackermann. Die Fantasie, das ist ihr höchstes Gut – umso vernichtender fällt ihr Urteil über die Modetrends der Gegenwart aus: «Viel zu enge Hosen, und unter jeder Bluse guckt noch ein T-Shirt raus. Und dann erst die viel zu dicken Strümpfe dazu – das geht ja wohl gar nicht.» Die 100-Jährige muss es wissen, schliesslich hat sie schon viele Moderichtungen miterlebt. Was die Expertin selber trägt, das näht sie auch selbst, nach eigenen Ideen, vom Strickmuster bis zum fertigen Kleid. «Ich war immer eitel und wollte alles selbst gestalten», sagt die Augwilerin und zieht die Augenbrauen hoch. Die gelernte Schneiderin macht hin und wieder auch Kleider für Bekannte – aber nur für Frauen, für Männer gibts nichts, «die sehen die Schönheiten der Kleider ohnehin anders». Nur braucht die eigene Mode viel Zeit. Die Arbeit zu Hause daure «eine Ewigkeit», klagt Fanny Ackermann, die seit der Pensionierung kein eigenes Atelier mehr hat. Und das sei eigentlich doch gar nicht ihre Art. Nur nicht ins Altersheim Von ihrem Fauteuil aus sieht sie über die Felder bis hinüber nach Egetswil. Ihr Mann ist vergangenes Jahr verstorben, nach 68 Ehejahren. Nun bewohnt sie das Haus allein, schmeisst den Haushalt, fegt mit dem Hochdruckreiniger die Gartentreppe und bewirtet regelmässig Gäste. Auch das braucht Zeit, die für die Mode nicht zur Verfügung steht. «Aber ich gehe nicht ins Altersheim, das wär ja das Letzte», sagt sie energisch – um sich dann gleich wieder selbst zu bremsen: «Ja, ich sag das jetzt so grossartig. Dabei weiss man ja nie, was wird.» Der eigene Gatte sass im Rollstuhl und hätte eigentlich ins Heim geschickt werden sollen. Stattdessen hat ihn Fanny Ackermann zu Hause gepflegt, liess sogar ein Spitalbett in der Stube aufstellen. Auch für sie habe sich in den letzten Jahren das eine oder andere verändert. «Vor vier Jahren musste ich aufs Strassenverkehrsamt, und die haben mir den Führerschein nicht mehr geben wollen.» Die Theorie sei ja nicht das Problem gewesen, sagt sie, «aber die Tafeln auf dem Parcours haben mich völlig konfus gemacht. Es war wohl auch Zeit, nicht?» Ohne Auto sei sie nun etwas weniger flexibel, aber sie habe viele liebe Nachbarn und Freundinnen, die sie zum Einkaufen fahren würden; und heute kauft sie ihre Stoffe gleich auf Vorrat. Immer etwas zu tun «Der Doktor Kaufmann, der sagt mir immer: Es gibt ein biologisches Alter und eines auf dem Geburtsschein. Ich sei eben im Verbrauch aller Körperteile zehn Jahre zurück.» Sie lächelt. «Das ist ja schön, aber dafür kann ich nichts.» Insofern habe sie da der Welt auch nicht das eine, ominöse Rezept zu verkünden, wie man 100 Jahre alt wird. «Wissen Sie, ich koche jeden Tag mein Essen selbst, mit Gemüse und Fleisch.» Aber sonst gebe es da keinen Geheimtipp. Aber überhaupt sei ihr wichtig, dass sie immer irgendwas zu tun habe, sagt Fanny Ackermann. Um 6 Uhr steht sie auf, es gibt Kaffee und Gipfeli. Darauf folgt die Tagesplanung. Zum Mittagessen kocht sie, später ist Zeit für die Fantasie. «Ich fände das blöd, einfach hier zu sitzen und zu lesen. Hätte ich keine Aufgabe, würde ich mir sofort eine suchen.» Der nächste grosse Termin ist natürlich der runde Geburtstag. Für heute ist nur ein Apéro im engen Kreis vorgesehen, am Wochenende wird dann auswärts gefeiert, in Kloten, da wo sie schon ihren Achtzigsten begangen hat. «Es ist ein Abschied von meinem Mann und mein Geburtstag gleichzeitig», sagt sie. Kunst zu verschenken Anstatt darüber zu sinnieren, was sie zum Hundertsten geschenkt bekommt, redet Fanny Ackermann lieber davon, was sie den Gästen mitbringt: eigene Ölbilder. Wenn sie nicht gerade ihre neueste Modekollektion entwirft, steckt sie die Fantasie in ihre Gemälde. Jedes Stockwerk ist mit einem guten Dutzend dekoriert, verschiedene Formate, verschiedene Sujets. «Wie man sehen kann, habe ich keinen klaren Stil. Ich bin immer auf der Suche, vielleicht hab ich aber auch einfach nicht die nötige Seelenruhe, an einer Idee lange rumzutüfteln.» Spontan müsse es sein, mit knalligen Farben, grosse Züge. Und wie bei den Kleidern darf es nicht zu lange dauern. Früher hat sie mit den Werken Ausstellungen bestritten, heute verschenkt sie die Bilder lieber. «Wenn eines fertig ist, möchte ich es zuerst behalten – aber irgendwann wirkt es nicht mehr gleich. Und dann geb ich es gerne.» Und was wünscht sich die Jubilarin für die Zukunft? «Ich will einfach kein altes Weiblein werden, das sich nicht mehr bewegen kann; zwei, drei Jahre liegen sicher noch drin», sagt sie. «Ich finde das eigentlich schön, wenn man stirbt. Und das ist ja auch irgendwann nötig. Gut, ich sag das jetzt so – und wenn es so weit ist, hab ich dann vielleicht doch noch ein wenig Schiss.» «Der Doktor sagt immer, es gebe ein biologisches Alter und eines auf dem Geburtsschein. Ich sei eben zehn Jahre zurück.» Fanny Ackermann Wenn Fanny Ackermann an rotem Stoff arbeitet, tut sie das nicht für den Samichlaus. Für Männer schneidert sie nicht. Foto: Flo
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