Keller-Sutter umwirbt Gewerkschaften – für Pakt gegen SVP
Nach drei Monaten im Amt macht die FDP-Bundesrätin eine Charmeoffensive nach links und eine Kampfansage gegen rechts: Die SVP-Begrenzungsinitiative zu bodigen, sei ihre «höchste Priorität».
Es droht der Schweizer Brexit: Mit einer solch dramatischen Warnung geht Karin Keller-Sutter nach drei Monaten im Amt in die politische Offensive – in die Offensive gegen rechts. «Höchste Priorität» geniesse für sie der Kampf gegen die Begrenzungsinitiative, erklärte die neue FDP-Bundesrätin an ihrem ersten grossen öffentlichen Auftritt seit ihrer Wahl.
Die Begrenzungsinitiative wurde von der SVP im August 2018 eingereicht. Sie verlangt die Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens – und damit indirekt das Ende der bilateralen Verträge mit der EU. Frühestens Ende 2020 kommt die Vorlage vors Volk. Indem Karin Keller-Sutter den Kampf gegen diese Initiative so früh zu ihrem Schlüsseldossier erklärt, erteilt sie einem rechtsbürgerlichen Schulterschluss eine Absage.
Zumal sie parallel dazu auch noch eine Charmeoffensive nach links lanciert. Um die SVP-Initiative zu bodigen, sei es «unbedingt nötig, die Allianz der Kräfte für den bilateralen Weg zu erneuern». Und eine solche Allianz sei «ohne einen Zusammenschluss der Sozialpartner» nicht zu haben. Und dafür, so Keller-Sutter, müsse man den Gewerkschaften etwas offerieren.
«Es geht um den Wohlstand»
Was dieses «Etwas» konkret sein könnte, sagte die Justizministerin nicht. Dafür sei es noch zu früh. Aber sie verpflichte sich hier und heute: «Ich werde mich bemühen, eine Lösung für die Sozialpartner zu finden, um sie an Bord zu holen.»
Das Sprachbild des An-Bord-Holens passte perfekt zu dem Ort, wo die FDP-Bundesrätin ihre Ankündigung machte: nicht im Bundeshaus, nicht in einem Fernsehstudio, sondern auf der MS Säntis, die im Hafen von Romanshorn TG vor Anker lag, gleich neben der Autofähre in die deutsche Stadt Friedrichshafen.
Bilder: Karin Keller-Sutter auf dem Schiff
Natürlich hatte Keller-Sutter den ungewöhnlichen Ort für ihre Medienkonferenz auch gewählt, um zu demonstrieren, dass sie sich als Vertreterin der ganzen Ostschweiz im Bundesrat versteht und nicht nur des Kantons St. Gallen, aus dem sie stammt. Als Bundesrätin, erklärte Keller-Sutter, verfolge sie zwei Ziele. Erstens: die Sicherheit und den Schutz der Schweizer Bevölkerung, namentlich auch gegen Jihadisten. Und zweitens: die Sicherung der Arbeitsplätze.
So nutzte sie den symbolischen Ort nahe an der Grenze zu Deutschland auch, um vorzurechnen, wie viele Arbeitsplätze von den Beziehungen zur EU abhängig seien. Allein die drei Bodensee-Kantone Schaffhausen, Thurgau und St. Gallen hätten in einem Jahr für 12,5 Milliarden Franken Waren in die EU exportiert, die ganze Schweiz sogar für 156 Milliarden. Der bilaterale Weg bedeute darum Wohlstand und 860000 Arbeitsplätze für die Schweiz, rechnete Keller-Sutter vor. Diesen bilateralen Weg wolle die SVP-Initiative zerstören. «Eine Annahme der Initiative wäre der Schweizer Brexit», sagte Keller-Sutter. «Es geht um unseren Wohlstand.»
In der Couchepin-Tradition
Laut Keller-Sutter war dieser bilaterale Weg bisher nur möglich, weil die Marktöffnung «im Gleichgewicht» stand mit dem Schutz der hiesigen Löhne und der sozialen Sicherheit aller Schweizerinnen und Schweizer. Nur dank dieses Gleichgewichts habe man es geschafft, die Europa-Allianz, bestehend aus allen Parteien ausser der SVP, aus Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, zusammenzuhalten. Nur einmal habe diese Allianz nicht funktioniert, und prompt habe es eine Niederlage an der Urne abgesetzt: nämlich bei der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative im Februar 2014.
Damals hatte sich Keller-Sutters Vorgänger im Bundesrat, Johann Schneider-Ammann, gegen einen Ausbau der flankierenden Massnahmen (Flam) gesperrt. Das will Keller-Sutter vor der neusten SVP-Initiative nun besser machen: So lautete ihre implizite Botschaft auf der MS Säntis. Schneider-Ammann erwähnte sie dabei nicht namentlich, wohl aber einen anderen ihrer Vorgänger: Pascal Couchepin, FDP-Bundesrat von 1998 bis 2009. Gerade er habe die Tradition des Interessenausgleichs von Marktöffnung und sozialer Sicherheit gepflegt, lobte Keller-Sutter – und stellte sich so in Couchepins Tradition.
Nicht eingehen wollte Keller-Sutter auf Fragen zum umstrittenen Rahmenabkommen. Auch dieses zweite grosse europapolitische Problem wird sich wohl kaum ohne Schulterschluss der Sozialpartner lösen lassen. In diesem Dossier versteckte sich die Freisinnige hinter der Kollegialität des Bundesrats, dem sie nun angehört, und meinte: Bis spätestens Anfang Juni werde die Gesamtregierung zum weiteren Vorgehen Stellung beziehen müssen.
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