Hakenkreuz-DebatteKeller-Sutter prüft nun doch ein Verbot von Nazi-Symbolen
Noch Anfang Februar wollte der Bundesrat von einem Verbot nichts wissen. Nach öffentlicher Kritik geht Justizministerin Karin Keller-Sutter nun über die Bücher.

Gelbe Judensterne mit dem Schriftzug «ungeimpft», Hakenkreuze, ein Hitlergruss: Solche Bilder von Corona-Kundgebungen bewogen Mitte-Nationalrätin Marianne Binder dazu, ein Verbot von Nazi-Symbolen im öffentlichen Raum zu fordern. Doch der Bundesrat stellte sich dagegen. Er beantragt dem Parlament, die Motion abzulehnen. Die Stellungnahme, die der Bundesrat Anfang Februar veröffentlichte, stiess auf Kritik. Die Haltung des Bundesrats sei «unverständlich», schrieb etwa der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG).
Nur wenige Wochen später reagiert die zuständige Justizministerin Karin Keller-Sutter nun auf die Kritik – und lässt ein Verbot prüfen. Ihr Departement bestätigt Informationen dieser Redaktion: «Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat das Bundesamt für Justiz beauftragt, den Handlungsbedarf und die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten zu prüfen, auch mit Blick auf die Rechtslage in den Nachbarländern. Diese Arbeiten sind bereits im Gang», schreibt das Justiz- und Polizeidepartement.
Marianne Binder zeigt sich «hocherfreut» darüber, dass nun doch etwas geschehen soll. Die Stellungnahme des Bundesrats auf ihren Vorstoss habe sie irritiert, sagt Binder. «Die Argumente sind nicht stichhaltig.» Das heutige Recht kenne sie, und es genüge nicht.
Ausnahmen fürs Geschichtsbuch
Der Bundesrat hatte auf das geltende Recht hingewiesen. Schon heute ist die Verwendung rassistischer Symbole strafbar, wenn damit in der Öffentlichkeit für die entsprechende Ideologie geworben wird. Das betont auch Martino Mona, Strafrechtsprofessor an der Universität Bern. Verboten seien damit beispielsweise Hakenkreuzfahnen an Demonstrationen, sagt Mona. Wer im Alltag eine Jacke mit einem Hakenkreuzabzeichen trage, mache sich dagegen nicht strafbar.
Für das Nein zu einem generellen Verbot nannte der Bundesrat drei Gründe. Erstens befürchtet er, dass dies auch die Verwendung von Nazi-Symbolen in Wissenschaft, Kunst, Bildung und Journalismus verunmöglichen würde. Das sei «geradezu absurd», sagt Binder. Auch Strafrechtsprofessor Mona sieht hier kein Problem. Ausnahmen wären möglich, erklärt er. So seien etwa Abbildungen von Hakenkreuzen in Geschichtsbüchern durch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit und den legitimen Zweck der Bildung erlaubt.
Zweitens sieht der Bundesrat einen Konflikt mit der Meinungsäusserungsfreiheit. Experte Mona sieht ein anderes, grösseres Problem: Mit einem solchen Verbot würde das blosse Bekenntnis zu einer Ideologie strafbar, sagt er. Damit drohe ein Gesinnungsstrafrecht, das stets «totalitäre Züge» trage. Natürlich gebe es bei der heutigen Regelung einen Graubereich. Nicht immer sei klar, ob das Tragen eines Symbols einem propagandistischen Zweck diene. Doch: «Ein so weitreichendes Verbot ist gefährlicher als das, was damit verhindert werden soll», sagt Mona.
Bundesrat wollte ein Verbot
Drittens gibt der Bundesrat zu bedenken, das Parlament habe in der Vergangenheit Vorstösse für ein Verbot abgelehnt. Vor 20 Jahren hat allerdings der Bundesrat selber ein Verbot angestrebt. Nach Vorfällen mit Rechtsextremen liess die damalige Justizministerin Ruth Metzler (CVP) eine Strafnorm ausarbeiten. Der Gesetzesentwurf, den der Bundesrat 2003 in die Vernehmlassung schickte, stiess zunächst grundsätzlich auf Zustimmung.
Die Strafnorm sollte nur rassendiskriminierende Kennzeichen, Parolen, Gesten oder Grussformeln erfassen, namentlich jene aus der Zeit des Nationalsozialismus. Der Bundesrat schrieb dazu: «Diese Kennzeichen symbolisieren die ihnen zugrunde liegende rassendiskriminierende Ideologie, und ihr Tragen gilt als Verbreitung der betreffenden Ideologie.»
Dem Parlament war der Fokus auf rechtsextremistische Symbole jedoch zu eng. Deshalb nahm es 2005 einen Vorstoss an für ein Verbot «jeglicher Symbole, welche extremistische, zu Gewalt und Rassendiskriminierung aufrufende Bewegungen verherrlichen». Der damalige Justizminister Christoph Blocher (SVP) zeigte sich skeptisch. Er warnte davor, Gesinnungen unter Strafe zu stellen. Hinzu kamen Bedenken hinsichtlich der Praktikabilität, namentlich aus den Kantonen. Kritiker befürchteten, die Strafnorm sei zu wenig bestimmt. Somit sei unklar, welche Kennzeichen genau verboten würden.
Frisuren verbieten?
2010 beantragte der Bundesrat dem Parlament, auf das Verbot zu verzichten. Die Frage, was ein gewaltverherrlichendes Symbol sei, sei schwierig zu beantworten, sagte Eveline Widmer-Schlumpf (BDP), inzwischen Blochers Nachfolgerin im Justizdepartement. «Gilt das für eine schwarze Fahne, eine Bomberjacke, Kampfstiefel und kurz geschorene Haare?»
Marianne Binder schlägt vor, zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten das Verbot vorerst auf die offensichtlichen Symbole zu beschränken – auf Zeichen wie das Hakenkreuz oder Siegrunen. Weitere Symbole – aktuell beispielsweise das Zeichen «Z», das Unterstützung für Russland im Ukraine-Krieg symbolisiert – müssten getrennt betrachtet werden.
In Deutschland ist das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verboten – inklusive Kennzeichen, die diesen «zum Verwechseln ähnlich» sind.
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