Kein Frieden ohne Öcalan
PKK-Chef Abdullah Öcalan konnte aus dem Gefängnis heraus Proteste auslösen und Hungerstreiks beenden. Nun will er den Kurden Frieden und Rechte verschaffen. Dabei ist aber mehr als seine eigene Zukunft ungewiss.
Seine Anhänger verehrten ihn als «Helden», seine Gegner nannten ihn einen «Mörder» und jahrzehntelang war er ein Feind des türkischen Staates. Nun hat Abdullah Öcalan als inhaftierter Chef und Gründer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Kurdenkonflikt einen Waffenstillstand proklamiert.
Diesem historischen Tag waren monatelange Verhandlungen Öcalans mit dem türkischen Staat vorausgegangen. Etwas mehr als 14 Jahre ist es her, dass Öcalan auf dem Weg zum Flughafen der kenianischen Hauptstadt Nairobi von türkischen Agenten festgenommen wurde.
Verhaftung mit US-Hilfe
«Willkommen in der Türkei», sollen sie gesagt haben, als sie den PKK-Chef am 15. Februar 1999 in einen wartenden Jet brachten. Danach wurde er auf die Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul gebracht und dort wenige Monate später zum Tode verurteilt – eine Strafe, die später in lebenslange Haft umgewandelt wurde.
Öcalan hatte Ende 1998 auf türkischen Druck hin seine langjährige Zuflucht in Syrien verlassen müssen. Seine Flucht vor dem türkischen Staat führte ihn schliesslich in die Residenz des griechischen Botschafters in Nairobi.
US-Hilfe bei der Überwachung von Telefongesprächen soll es der Türkei damals ermöglicht haben, Öcalan zu lokalisieren. Als er Kenia verlassen wollte, schlugen die Türken zu. Die PKK spricht deshalb bis heute von einem «internationalen Komplott».
Die Festnahme des Staatsfeindes Nummer Eins war ein politischer Triumph für Ankara, doch den Kurdenkonflikt konnte der Zugriff nicht beenden. Inzwischen sind mehr als 40'000 Menschen den Gefechten zwischen Öcalans PKK und den türkischen Sicherheitskräften zum Opfer gefallen, die 1984 begannen.
Kein Frieden ohne Öcalan
Auch hinter Gittern ist Öcalan für viele Kurden eine wichtige Persönlichkeit geblieben. Als vor einigen Jahren Berichte auftauchten, die türkischen Gefängniswächter auf Imrali hätten Öcalan gegen dessen Willen die Haare geschnitten, gab es im türkischen Südosten wütende Demonstrationen. Im vergangenen Jahr genügte ein Wort des PKK-Chefs, um einen Hungerstreik kurdischer Häftlinge zu beenden.
Nicht zuletzt deshalb setzte sich in Ankara die Ansicht durch, ein Frieden könne nicht ohne Öcalan ausgehandelt werden. Seine Haftbedingungen wurden verbessert. Nach zehn Jahren Einzelhaft für Öcalan wurden 2009 einige Mithäftlinge nach Imrali verlegt. In diesem Jahr erhielt der PKK-Chef erstmals einen Fernseher.
Aufruf zu Waffenruhe
In den Verhandlungen mit dem türkischen Geheimdienst MIT auf Imrali wollte Öcalan im Gegenzug für einen Gewaltverzicht der PKK mehr Autonomie für die Kurden in der Türkei durchsetzen. Die etwa zwölf Millionen Kurden in der Türkei verdienten das Recht auf politische und kulturelle Selbstverwaltung, sagte er in den vergangenen Jahren.
Das Ziel eines eigenen Kurdenstaates hatte die PKK bereits vor Jahren aufgegeben. Nun liess Öcalan am kurdischen Neujahrsfest Newroz seinen Aufruf an die Rebellen verlesen, sie sollten die «Waffen schweigen lassen» und die Türkei verlassen.
Wie geht es nun weiter?
Schon in den vergangenen Wochen hatte die PKK angekündigt, sie werde den Befehlen ihres inhaftierten Anführers folgen. Die türkische Regierung will die aus der Türkei abziehenden PKK-Verbände nicht angreifen, um den Friedensprozess nicht zu stören.
Die erste Stufe der Entspannung zwischen Kurden und türkischem Staat ist damit umrissen. Weniger klar ist, wie es danach weitergehen soll. Ankara erwartet einen endgültigen Gewaltverzicht der PKK mit einer Zerstörung oder Übergabe der Rebellen-Waffen. Möglicherweise kann dies mit der Hilfe der kurdischen Autonomiebehörden im Norden Iraks geschehen. Hochrangige Anführer der PKK sollen die Möglichkeit erhalten, ins Exil zu gehen. Ob sich ein Land findet, das die Rebellen aufnehmen will, ist aber offen.
Unklar ist bisher auch, wie die Türkei die Waffenruhe der PKK politisch beantworten will. Die Rede ist von einer Absicherung der Minderheitenrechte in der neuen Verfassung, die derzeit von den Parteien im Parlament – unter Mitarbeit der kurdischen BDP – erarbeitet wird. Während in Diyarbakir Öcalans Aufruf verlesen wurde, informierte Parlamentspräsident Cemil Cicek in Ankara den Staatspräsidenten Abdullah Gül über den Stand der Verfassungsgespräche.
Nach Öcalans Appell richtet sich die Aufmerksamkeit nun auf das Geschehen in Südostanatolien selbst. Öcalan habe die «Sprach des Friedens» gesprochen, sagte der türkische Innenminister Muammer Güler. «Nun muss man die Umsetzung sehen.»
Erdogan kritisiert fehlende türkische Fahnen
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte, dass bei der Newroz-Feier in Diyarbakir keine einzige türkische Fahne zu sehen gewesen sei. Das widerspreche Öcalans Botschaft des Friedens zwischen Kurden und Türken. Er hoffe aber, dass die Türkei die Probleme überwinden werde.
Ungewiss ist auch Öcalans persönliche Zukunft: Er sitzt auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul weiterhin seine lebenslange Haftstrafe ab. Während die Kurden seine Freilassung fordern, ist Ankara gegen einen Straferlass.
AFP/sda/mw
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