Kein Asyl: Wenn der Lehrling gehen muss
Ein junger Mann muss die Schweiz verlassen. Trotz gelungener Integration, Berufslehre, guter schulischer Leistungen. Bis zur Ausreise soll er in einer Asylunterkunft warten. Das stellt auch seinen Berner Arbeitgeber vor Probleme.

Die Uhr tickt. Seit dem Schreiben von Anfang Juni: «Wir erwarten Sie am Freitag um 9.30 Uhr», stand da. Sollte der junge Mann, an den der Brief adressiert war, nicht kooperieren, drohte das Amt mit der Polizei.
Also ging der junge Mann vorbei – Eigerstrasse 73, Migrationsamt. Er gab seinen Ausweis und vier Passfotos ab, ging wieder. Diesen Freitag muss er wieder antraben. Um zu erfahren, wo er künftig leben wird.
Amaniel K. *, kam vor über fünf Jahren in die Schweiz, spricht fliessend Deutsch, versteht auch Dialekt problemlos. Nun soll er dorthin zurück, wo er herkam.
Sprachkurse, berufsvorbereitende Schuljahre, Vorlehre – vergebens. Die angefangene Spenglerlehre, das kleine Dachzimmer, das er selbst organisierte – umsonst. Zumindest fühlt es sich so an, sagt Amaniel. Ab kommender Woche soll er in einer Asylunterkunft auf seine Ausreise warten. Wo und wie lange? Offen.
Abgelehnt
Dienstag, 9.30 Uhr – noch 72 Stunden. Amaniel, krauses Haar, Flaum im Gesicht, weisser Stecker im Ohr, sitzt im Konferenzraum der Guggisberg Dachtechnik in Wabern. Flankiert von seinen Chefs: Geschäftsführer rechts, Lehrlingsbeauftragter links. Drei Männer in blauen Shirts – Arbeiterkluft im Sitzungszimmer.
Die Stimmung ist mies, das Unverständnis gross. Amaniel erzählt leise. Vom Vater, der in der Heimat aus politischen Gründen im Gefängnis sitze. Den Repressalien, denen die Familie ausgesetzt gewesen sei.
Die Halbgeschwister lebten schon länger in der Schweiz, seien eingebürgert. Wo die Mutter ist, weiss er nicht. Er selbst kam 2012 mit dem Flugzeug. Anmeldung, Asylantrag, Aufenthalt in Vallorbe. Dann weiter in den Kanton Bern.
Gemäss eigenen Angaben ist er 19-jährig. Die Behörden halten das für unwahrscheinlich, überhaupt die ganze Geschichte für unglaubwürdig. Am 19. April entschied das Bundesverwaltungsgericht letztinstanzlich: Amaniel erhält kein Asyl.
Abgemüht
Das hat auch für den Arbeitgeber Konsequenzen: Mit dem negativen Entscheid erlischt Amaniels Arbeitserlaubnis. Die Firma müsste ihm kündigen. «Wir dachten darüber nach, setzten ein Papier auf», sagt Geschäftsführer, Hanspeter Läderach. «Wir haben es zerrissen und in den Müll geworfen.» Die Firma stellt sich hinter ihren Mann. Und zwar resolut.
Ruedi Hitz, der Lehrlingsbetreuer, engagiert sich persönlich für seinen Schützling. «Er ist noch nie zu spät gekommen, erledigt seinen Job einwandfrei, hat sich perfekt im Team eingefügt», so Hitz. «Plötzlich soll er alles liegen lassen und in einem Zentrum Däumchen drehen? Das kanns nicht sein.»
Der 42-Jährige telefoniert laufend mit den Behörden, wandte sich auch schon ans Rote Kreuz, lotet Möglichkeiten aus. Zuletzt wurde auch die Chefetage aktiv – die letzte Hoffnung: ein Härtefallgesuch. Das ist seit Ende Mai hängig.
Nebst der persönlichen Betroffenheit stehen für Amaniels Vorgesetzte auch handfeste wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel. Geschäftsführer Läderach macht da gar keinen Hehl daraus: Der Branche fehle der Nachwuchs.
«Wissen Sie, was ein Spengler macht?», fragt der Geschäftsführer und breitet die Arme vor sich aus. «Eben.» Die Jungen interessierten sich nicht mehr für handwerkliche Berufe. Für das kommende Lehrjahr plante das Unternehmen mit zwei Lehrlingen – laut Läderach ging nicht eine Bewerbung ein. «Bevor die Leute stänkern: Er nimmt niemandem den Job weg.»
Abgekämpft
Rückendeckung erhält das Unternehmen vom Verein Lehrstellennetz Köniz. Namentlich von dessen Geschäftsführer, Michael Raaflaub: «Alle reden vom Fachkräftemangel, davon, wie schwierig es ist, Jugendliche für Handwerksberufe zu begeistern.»
Dann reisse man einen Lehrling, noch dazu einen richtig guten, einfach so raus. «Für die Branche ist das fatal.» Raaflaub enerviert sich: Die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt laufe völlig unkoordiniert ab. «Es gibt keine Zahlen.» Transparenz wäre zwingend nötig, allein um künftig Fälle wie jenen von Amaniel K. zu vermeiden.
Dienstag, 19 Uhr. Die Uhr tickt. Amaniel sitzt in seinem Zimmer unter einer Dachschräge irgendwo in der Stadt Bern. Dusche und WC sind auf dem Gang. An den Wänden hängt Bob Marley.
«Ich habe alles getan, jahrelang. Alles, was von mir verlangt wurde.»
Draussen joggen Leute, drinnen ringt der junge Mann mit der Fassung: «Ich habe alles getan, jahrelang. Alles, was von mir verlangt wurde.» Seit dem Brief, schlafe er kaum. «Da ist dieser Stress in meinem Kopf.» Ein Mann steht vor dem Nichts, weiss noch nicht einmal, wo sie ihn hinbringen. Am Freitag soll sich das ändern. Auf dem Amt.
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