Kann Empathie die Welt retten?
Das dritte Forum Fokus Ethik beschäftigte sich mit Egoismus. Eine gesunde Portion davon schadet laut einem der Referenten, Reinhard Haller, nicht. Gefährlich werde es erst, wenn sich Narzissten auf Kosten anderer zu wichtig nähmen.

Die Einladung als Referent ans Forum Fokus Ethik in Thun habe seinen persönlichen Narzissmus befriedigt, gab Reinhard Haller ganz offen und ehrlich zu. «Sollten Sie nach meinen Ausführungen das Gefühl haben, Sie hätten Ihre Zeit verschwendet, werde ich auch wie ein Narzisst reagieren. Ich werde tief gekränkt sein», flachste der Psychiater und Gerichtsgutachter.
Dann wurde er ernst. «Das meistfotografierte Sujet ist das Ich.» Heute gehe es in erster Linie darum, sich selber zu verwirklichen, sein Leben nach seinem Gusto zu gestalten. «Trotz dieser Erkenntnis gleich in Panik zu geraten, ist aber falsch», sagte Haller am Freitag im KKThun weiter. Narzissmus habe immer auch mit Minderwertigkeitsgefühlen zu tun.
«Wenn wir die Empathie erhalten, retten wir letztlich die Welt.»
Narzissten könnten zwar als störend empfunden werden, gefährlich werde es aber erst dann, «wenn sich Menschen auf Kosten von Mitmenschen zu wichtig nehmen».
Ofen, der andere nicht wärmt
Narzissten seien wie ein Ofen, der sich nur selber wärme, führte Haller aus. Er charakterisierte den Narzissten mit fünf Begriffen: Egoismus, Eigensucht, Empfindlichkeit respektive Kränkbarkeit, Empathiemangel und Hang zur Entwertung anderer. Im Verlauf seines Referats machte Haller immer wieder elegante Quervergleiche zur Geschichte von Narziss aus der griechischen Mythologie.
Der schöne Sohn des Flussgottes Kephissos und der Leiriope wies die Liebe anderer immer wieder zurück und verliebte sich dann in sein eigenes Spiegelbild. Narziss erkannte die Unerfüllbarkeit seiner Liebe, ohne dass es ihm etwas nützte: Er verzehrte sich und verschmachtete vor seinem Ebenbild bis zum Tod. «Ein Narzisst kann sich selber nicht lieben», sagte Haller, der zum Thema «Psychische Störungen und Kriminalität» habilitierte. Das sei sein ganz grosses Manko.
Kälte und Entsolidarisierung
Narzissmus sei lange Zeit eine Sünde gewesen, irgendwann wurde eine psychische Störung daraus. «Unterdessen weiss jeder, was ein Narzisst ist», sagte Haller. Dank der Digitalisierung sei der Narzissmus zu einem Allgemeingut geworden. «Teilweise gilt Narzissmus als gesellschaftliches Ideal», sagte Haller.
Das seien keine rosigen Aussichten, denn Narzissmus sorge für Kälte und Entsolidarisierung. Er sehe aber einen Silberstreif am Horizont: die Empathie. «Wenn wir die Empathie erhalten, dann wird sie die Welt retten.»
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