Selbstreinigende BremsenKampf gegen den Feinstaub
Der Feinstaub von Bremsen gilt als gefährlich für Umwelt und Gesundheit. Technische Lösungen für das Problem gibt es, doch erst wenn Euro 7 kommt, dürften diese auch grössere Verbreitung finden.

Mit Spannung wartet die Autobranche auf einen richtungsweisenden Vorschlag aus Brüssel: Voraussichtlich in diesem Frühjahr wird die EU-Kommission einen konkreten Entwurf zur künftigen Abgasnorm Euro 7 vorlegen. Das wahrscheinlich 2025 in Kraft tretende Regelwerk dürfte Herstellern unter anderem auferlegen, die Feinstaubemissionen von Autos weiter zu senken. Denn trotz Euro 6d und einer rasant wachsenden Zahl von E-Autos ist das Problem längst nicht vom Tisch. Die Antriebe sind zwar sauberer, doch der Abrieb von Reifen und Bremsen bleibt ein riesiges und weiter ungelöstes Problem. Mediziner, Wissenschaftler, Umweltverbände und behördliche Institutionen weisen immer wieder auf Gefahren für Umwelt und die menschliche Gesundheit durch feine und ultrafeine Partikel hin. Nun dürfte die EU im Rahmen des Green Deal das Thema der erweiterten Emissionen von Automobilen in den Mittelpunkt ihrer Euro-7-Pläne rücken und damit den Kampf gegen Feinstaub auf Reifen und Bremsen ausweiten.
Das Tamic-Prinzip saugt 90 Prozent Feinstaub ab
Speziell für letztere wurden einige Lösungen bereits zur Serienreife entwickelt. Dabei gibt es mehrere unterschiedliche Ansätze, dem Bremsabrieb zu entgegnen – mit Vor- und Nachteilen und unterschiedlichen Kosten. Zu den Profiteuren könnte das Unternehmen Tallano aus Frankreich mit seiner Absaugtechnik Tamic zählen. Die Idee zu dieser Lösung kam Firmengründer Christophe Rocca-Serra, als er sich bei Kundenbesuchen über schmutzige Felgen an seinem Auto ärgerte. Von 2012 an arbeitete er mit einem Freund daran, das Schmutzproblem anzugehen, wobei sich schnell zeigte: Der Feinstaub der Bremsen ist weniger ein ästhetisches als vielmehr ein gesundheitliches Problem. Die Lösung für beides ist eine aktive Absaugtechnik, die den Staub in den Bremsen direkt im Augenblick der Entstehung einfängt. Die Bremsbeläge müssen hierfür über einen Absaugkanal verfügen, der über einen Schlauch mit einem Ministaubsauger verbunden wird. Im Motorraum befindet sich eine elektrisch angetriebene Turbine, die während der Bremsvorgänge den Saugdruck erzeugt, um den Feinstaub in einen Filter zu leiten. Bis 90 Prozent das Bremsstaubs soll so durch das Tamic-Prinzip absorbiert werden, was zugleich für einen deutlichen Rückgang der gesamten Feinstaubemissionen sorgt.
«Bei Autos haben wir im Vergleich zu den aktuell erlaubten Feinstaubgrenzwerten des Motors im Schnitt um das Sechsfache höhere Feinstaubemissionen durch Bremsen gemessen», sagt der deutsche Geschäftsführer und Partner Bert Stegkemper. Mit überschaubarem Aufwand wäre das Tamic-System in herkömmliche Bremsanlagen integrierbar und könnte so einen erheblichen Beitrag zur Reduzierung der Feinstaubemissionen im Strassenverkehr leisten. Die Elektronikteile sind kompakt, der Wartungsaufwand ist gering. «Alle 30’000 Kilometer muss der Filter gewechselt werden», so Stegkemper. «Der wird dank Bajonettverschluss mit einem Handgriff abgeschraubt.» Die Mehrkosten für den Autohersteller beziffert er mit durchschnittlich rund 170 Franken pro Auto. Auch wenn die Kosten moderat erscheinen mögen, gibt es noch keinen Bremsen- oder Autohersteller, der das Tamic-System nutzt. Doch der mit Euro 7 steigende Druck zur Feinstaubreduzierung dürfte Tallano in die Karten spielen.

Dass der Vorschlag der Europäischen Kommission den Spielraum bei den Feinstaubemissionen weiter einengen wird, erwartet auch das deutsche Unternehmen Buderus Guss: Der Bremsscheibenhersteller stellt bereits seit Jahren als serienreife Lösung des Problems die iDisc her, die bereits heute die Feinstaubemissionen von PW-Bremsen auf Euro-7-Niveau senken können. Anders als bei Tallano werden bei der iDisc Bremsenabrieb und damit die Feinstaubbildung bereits in der Entstehung verringert. Möglich macht dies eine im Kern normale Grauguss-Bremsscheibe, auf die jedoch eine Hartmetallschicht und optional Titancarbid aufgebracht wird. Die so entstandene Oberfläche ist sehr hart und damit besonders abriebfest – 80 bis 90 Prozent weniger Feinstaubemissionen sollen dadurch anfallen.
Die iDisc II kommt in verschiedenen Varianten
Die iDisc ist schon ein paar Jahre am Markt und aktuell für einige Modelle von Audi und Porsche als Option verfügbar. Beim Porsche Taycan kostet sie als Surface Coated Brake in Weiss 3620 Franken Aufpreis. Entwickelt wurde diese erste iDisc-Generation nicht als Lösung zur Feinstaubreduzierung, sondern als günstige Performancebremse. «Neben Vorteilen in der Performance, bei den Feinstaubemissionen und dem Korrosionsverhalten bietet die iDisc eine deutlich längere Haltbarkeit. Sie kann als Lebensdauerbauteil ausgelegt werden und leistet somit einen Beitrag zur Nachhaltig- und Wirtschaftlichkeit des Fahrzeugs über dessen Lebenszeit», preist Olaf Ley von Buderus Guss die Bremsscheiben an. Die verringerten Feinstaubemissionen wurden für die beschichteten Bremsen marketingtechnisch jedoch bisher kaum berücksichtigt. Das will Buderus Guss bei der iDisc II ändern. «Wir haben jetzt ein alternatives Beschichtungsverfahren», so Ley, «und neben einer Performance-Variante bieten wir eine Advanced-Variante für leistungsstarke Verbrenner und Hybridfahrzeuge an. Ausserdem gibt es eine E-Mobilitätsvariante mit einschichtiger Beschichtung für E-Fahrzeuge.»
Tallano und Buderus Guss sind nicht die Einzigen, die an Lösungen zur Reduzierung von Bremsenfeinstaub arbeiten. Unter anderem hat Filterspezialist Mann+Hummel ein passives Filtersystem entwickelt, bei dem sich die Feinstäube in einem Gehäuse an der Oberseite der Scheibenbremse sammeln. Ähnlich wie Buderus Guss setzt die deutsche Firma C4 Laser Technology auf ein Beschichtungsverfahren für Bremsscheiben, welches die Entstehung der Bremsabriebfeinstäube verringern soll. Schliesslich entwickelt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine mechanische Scheibenbremse mit Ölbadlagerung. Das geschlossene System soll den Abrieb zu sogar 100 Prozent herausfiltern.
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