Jetzt streitet auch die CDU über den Migrationspakt
Jens Spahn nutzt den UNO-Pakt als Hebel im Kampf um den CDU-Parteivorsitz – die Schweiz muss als Vorbild herhalten.
Es hätte so schön sein können, zumindest aus Sicht der Unions-Spitze. Nach den Wahlen in Bayern war der Streit um die Zuwanderung abgeflaut. Angela Merkel sprach davon, man solle die alten Debatten endlich hinter sich lassen. Selbst die bayerische CSU meinte auf einmal, die Frage bewege die Bürger längst nicht mehr so sehr wie zuvor – als noch Wahlkampf war.
Doch irgendwo wird eben immer gewählt, und dann ist es mit der Ruhe schnell vorbei. In der CDU wird gerade um den Vorsitz gekämpft, den Merkel in 16 Tagen abgibt. Und im nächsten Jahr werden Landtage im Osten neu bestellt, wo die CDU wegen Merkels Asylpolitik von der AfD schwer bedrängt wird.
Vorbild Schweiz?
Was läge also näher als ein kleiner Aufstand? Und was würde sich besser für eine Last-Minute-Polemik eignen als der Migrationspakt der UNO? Er ist rechtlich nicht verbindlich, Gegner und Befürworter können also so gut wie alles in ihn hineinlesen. Entsprechend hat auch eine Zustimmung oder Ablehnung wenig konkrete, dafür aber umso mehr symbolische und politische Bedeutung.
Wie sich mit Widerstand gegen den Migrationspakt Stimmung machen lässt, hatte in den letzten Wochen in Deutschland nur die AfD so richtig gemerkt. Am Wochenende kam nun auch Jens Spahn auf den Geschmack. Im Kampf um den CDU-Vorsitz liegt der 38-Jährige weit hinter den Favoriten Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer zurück, im Migrationspakt glaubt er nun aber, ein geeignetes Vehikel für seine Ambitionen gefunden zu haben.
Spahn forderte, die CDU solle am Parteitag über den Migrationspakt debattieren und abstimmen. «Alle Fragen der Bürger gehören auf den Tisch und beantwortet, sonst holt uns das politisch schnell ein», sagte der Gesundheitsminister. «Notfalls unterzeichnen wir eben später» – das halte die Schweiz ja möglicherweise auch so.
Taktisch war Spahns Vorstoss ein brillanter Zug, weil er verdeckt eine Art Vertrauensfrage an die Kanzlerin stellt.
In der Spitze von Partei, Fraktion und Regierung schlug man die Hände über dem Kopf zusammen. Der Migrationspakt sei im Kabinett und in der Fraktion bereits stundenlang debattiert worden, noch vor dem Parteitag werde es auch einen Entschluss der Fraktion und des Bundestags geben, hiess es. Einen Mangel an Debatte habe bisher nicht einmal Spahn moniert. Merkel stellte sich vehement hinter den Pakt und klagte, dass er von rechts mit «Lügen» bekämpft werde. Die Souveränität Deutschlands stelle er nicht infrage, vielmehr fordere er auch Herkunftsländer zu mehr Zusammenarbeit auf.
Von den Konservativen erhielt Spahn aber sogleich Applaus, etwa von der Mittelstandsvereinigung und den Chefs der ostdeutschen Landesverbände. Taktisch war sein Vorstoss ein brillanter Zug, weil er verdeckt eine Art Vertrauensfrage an die Kanzlerin stellt, die ja vorerst nur als CDU-Chefin ausscheidet. Tatsächlich bündelt sich im Pakt Merkels gesamte Philosophie in der Migrationsfrage, vor allem ihre Überzeugung, dass nur internationale Kooperation es ermögliche, die Wanderungsbewegungen gleichzeitig zu steuern und einzugrenzen, dies aber auch mehr Engagement der reichen Länder erfordere.
Bilder – Kandidaten für den CDU-Vorsitz
Zudem greift Spahn auch Kramp-Karrenbauer, Merkels Wunschnachfolgerin an der Spitze der CDU, frontal an. Eines der stärksten Wahlargumente der aktuellen Generalsekretärin ist das Versprechen, die Partei künftig wieder stärker an wichtigen politischen Entscheiden zu beteiligen. Und dies soll nun ausgerechnet beim Reizthema Flüchtlinge nicht gelten?, fragt Spahn zu Recht.
Noch ist unklar, ob es am Parteitag zur geforderten Debatte kommt; sicher ist hingegen, dass Spahn und seine Anhänger dort schon mehrmals Beschlüsse gegen den ausdrücklichen Willen der Kanzlerin erwirkt haben – 2016 etwa, als der Parteitag für ein Ende der doppelten Staatsbürgerschaft stimmte. Damals setzte sich Merkel einfach darüber hinweg. Sagt der Parteitag Nein zu ihrer Migrationspolitik, dürfte das nicht mehr so leicht gelingen.
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