Jetzt erhält sie sogar Lob von der Fussball-Legende
Die WM verpasst, nun von Marta gefeiert: Torhüterin Natascha Honegger entschied sich gegen die Schweiz und für Brasilien. Das zahlt sich aus.

Sie braucht die Stimme des Athletiktrainers, damit ihr endgültig bewusst wird: Es passiert wirklich. Eine halbe Stunde ist im Testspiel zwischen Brasilien und Holland gespielt. Und Natascha Honegger wird zum Warmlaufen geschickt. Nein, die Trainerin hat keinen Scherz gemacht, als sie am Vortag die Einwechslung ankündigte – sie kommt tatsächlich zum Einsatz. «Ich glaube, mein Herz schlug noch nie so schnell wie in diesem Moment», sagt die Fussballerin ein paar Tage später. Ab dann geht alles schnell. 15 Minuten Einlaufen, dann in die Kabine, dann die Vollzugsmeldung. Goalie Honegger ersetzt Aline: «Ich fühlte mich wie im Traum.» Im Kindheitstraum, der jetzt in Erfüllung geht.
Obwohl sie in Greifensee aufwuchs, rannte die Tochter einer Brasilianerin und eines Schweizers schon als kleines Mädchen im Shirt der Seleçao herum. Der Wunsch, für Brasilien zu spielen, der war immer da – auch wenn er Jahre später etwas in den Hintergrund geriet. Spätestens dann nämlich, als die heute 22-Jährige im Herbst 2018 erstmals für das A-Nationalteam der Schweiz aufgeboten wurde. Zu dieser Zeit spielte sie noch für den FC Luzern und kämpfte mit Elvira Herzog (damals FCZ) und Nadja Furrer (GC) um einen Platz im SFV-Kader.
Zuerst wollte sie absagen
Im Januar 2019 trainierte die 1,79 Meter grosse Torhüterin noch mit dem Schweizer Kreuz auf der Brust und hatte vor allem diesen Konkurrenzkampf im Kopf – bis der Anruf aus Brasilien kam. Während eines Zusammenzugs mit dem Schweizer Nationalteam in Spanien. Da kam sie zurück, die Erinnerung an den Kindheitstraum. Und dennoch war Honeggers erster Gedanke, wie sie heute sagt: «Ich sage ab.»
Doch ein Anruf aus Brasilien bleibt ein Anruf aus Brasilien, weshalb sie sich entschied, mit dem Schweizer Nationaltrainer Nils Nielsen zu sprechen. Und der Däne, seit November 2018 im Amt, war überraschend verständnisvoll. Er riet ihr sogar, dem Lockruf zu folgen und immerhin einmal einzurücken. Das seien Erfahrungen fürs Leben – nicht, dass sie eine mögliche Absage später einmal bereuen würde. Ein Rat, für den sie ihm noch heute sehr dankbar ist.

Denn nach einem Besuch im Hauptquartier des brasilianischen Fussballverbandes in Rio de Janeiro war der Kindheitstraum so real wie noch nie. Und die Brasilianer bemühten sich stark. Stärker als der SFV. Und weil sich Honegger in Brasilien bessere Chancen ausrechnet, sich mittelfristig als Nummer 1 durchzusetzen, war dies das letzte Mosaiksteinchen, das zum endgültigen Entscheid für das Land ihrer Mutter führte. Obwohl die ausbleibende Reaktion des SFV nicht von viel Wertschätzung zeugt, ist sie dem Fussballverband dankbar. Insbesondere aufgrund der goaliespezifischen Ausbildung: «Diese ist in der Schweiz auf sehr hohem Niveau.»
Die Nachricht von Marta
Honegger postete ihre Entscheidung auf Instagram, kurz vor einem Kinobesuch. Sie staunte nicht schlecht, als sie in der Pause aufs Handy schaute und unter zahlreichen Nachrichten eine herausstach: jene von Marta, der sechsfachen Weltfussballerin, der vielleicht besten Fussballerin der Geschichte. «Seja bem-vindo!», schrieb sie – herzlich willkommen. Honegger war ausser sich vor Freude: «Das bedeutet mir sehr viel und zeigt auch, was für ein Mensch sie ist.» Mittlerweile hat sie Marta als Nationalteamkollegin besser kennen gelernt, der gute Eindruck ist geblieben. Mehr noch: Er ist jetzt auch gegenseitig. «Nach dem 0:0 gegen Holland sagte sie in den Medien, ich sei in der Kabine zwar noch wie ein kleines Mäuschen, auf dem Platz sei sie aber meine Leistung und Präsenz positiv überrascht gewesen.»
Ein Jahr nach dem Nationenwechsel kam Honegger am Mittwoch also zu ihrem ersten Länderspiel. Dabei machte sie sich Anfang 2019 noch Hoffnungen auf einen Platz im WM-Kader Brasiliens, der blieb ihr allerdings verwehrt. «Vielleicht war das besser so, schliesslich wäre sonst alles rund um meinen Berufsmatura-Abschluss viel komplizierter geworden», blickt sie zurück. Ausserdem half ihr der Glaube, diesen Rückschlag zu verkraften: «Ich bin überzeugt, dass Gott einen Plan für mich hat. Diesem vertraue ich.»
Wegen Verletzungen die Hinrunde verpasst
Das musste sie auch am Anfang dieser Saison, kurz nach ihrem Wechsel zu Paris FC. Dann nämlich, als sie erstmals in ihrer Laufbahn Verletzungspech hatte – aufgrund verschiedener Blessuren, zuletzt eines Muskelrisses im Oberschenkel, verpasste sie die komplette Hinrunde. Seit dem ersten Spiel der Rückrunde ist sie allerdings die Nummer 1 des aktuellen Tabellenvierten, bei dem auch die beiden Schweizerinnen Coumba Sow und Eseosa Aigbogun spielen.
Und vor allem ist sie jetzt offiziell Nationalgoalie Brasiliens, mit einem Länderspiel. Insbesondere wegen zwei guter Paraden gegen die Europameisterin, Vizeweltmeisterin und zweifache Champions-League-Siegerin Shanice van de Sanden erhielt sie Lob von Medien und Staff. Der Goalietrainer adelte sie, sah sich aber auch bestätigt. Er hält viel von ihr, wie er gegenüber Honegger immer wieder betont. Sie ist also angekommen in einer Gruppe, die tanzt, lacht, vor und nach den Spielen betet. Sie fühlt sich wohl, ein Stück weit zu Hause. Gottes Plan, wie sie glaubt, er ergibt für sie Sinn. Jetzt aber, jetzt liegt es an ihr: «Ich muss weiter hart arbeiten, dann habe ich gute Chancen, hier die Nummer 1 zu werden.»
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