Ist der Handballsport verseucht?
Mehrere Bestechungsversuche sind in den letzten Wochen bekannt geworden. Offen ist, ob dies nur die Spitze des Eisbergs ist.
Angefangen hat alles mit einem Bericht im kleinen «Flensburger Tageblatt», das davon sprach, dass das Rückspiel des Champions-League-Finals zwischen Kiel und Flensburg am 29. April 2007 von den polnischen Schiedsrichtern Baum/Goralczyk zugunsten der Kieler manipuliert worden sei. Nach einem 28:28 im Hinspiel gewann die Mannschaft von Trainer Zvonimir «Noka» Serdarusic dank dem 29:27-Heimsieg zum ersten und einzigen Mal die begehrteste Trophäe im internationalen Handball. Die Meldung machte die Runde und wurde angeheizt von einer Geschichte im «Spiegel», die sich mangels Beweisen auf blosse Aussagen von Exponenten des Bundesliga-Konkurrenten Rhein-Neckar-Löwen stützte. Demnach soll der deutsche Serienmeister THW Kiel seit 2000 mindestens zehn Spiele der Königsklasse gekauft haben. Belastet wurde neben Manager Uwe Schwenker auch Serdarusic, der den Verein am Ende der letzten Saison nach 15 Jahren verlassen hatte und sich an Bandscheibe und Knie operieren liess. Serdarusics RücktrittEigentlich hatte der Kroate bereits einen Vertrag für die nächsten drei Spielzeiten bei den aufstrebenden Löwen aus Mannheim unterzeichnet. Just als das Gerücht von der Manipulation auftauchte, erklärte der Erfolgstrainer aber aus gesundheitlichen Gründen seinen Verzicht auf den neuen Job. Was wiederum Olaf Bruchmann, den Chefredaktor des Fachblatts «Deutsche Handballwoche» zweifeln liess: «Wer Serdarusic ein wenig kennt, der weiss, dass das eine Ausrede sein muss», schrieb er in einem Kommentar. Fakt ist: Unterdessen ermittelt die Staatsanwaltschaft Kiel im internationalen Rahmen gegen den heimischen Handballverein.Kurz darauf wurden fünf weitere mögliche Bestechungsfälle im internationalen Handball publik, die alle bisher nicht strafrechtlich verfolgt werden. Sie betreffen ausnahmslos Manipulationsversuche von osteuropäischen Teams, und es geht jeweils um mehrere 10000 Euro oder Dollar. Ausserdem erinnert man sich hierzulande an das unrühmliche Viertelfinal-Rückspiel in der Champions League von Pfadi Winterthur gegen Badel Zagreb im Februar 1998. Die beiden russischen Schiedsrichter fällten derart viele merkwürdige Entscheide, dass die Pfader nach der 21:24-Heimniederlage eine Untersuchung bei der Europäischen Handball-Föderation (EHF) anstrengten. Diese verlief allerdings ergebnislos.Grosser ErmessensspielraumIn der Tat ist gerade im Handball der Ermessensspielraum der Schiedsrichter – etwa bei Schrittfehlern oder Zeitspiel – vergleichsweise gross und lässt Raum für bewusste oder unbewusste Fehlentscheide. Andererseits sind die Folgen eines einzelnen Entscheids normalerweise weit geringer als im Fussball, wo ein einziger Penaltypfiff ein Spiel in die eine oder andere Richtung lenken kann. Ist der internationale Handball breitflächig verseucht? Nein, sagt der Schweizer Felix Rätz, der von 1993 bis 2008 weit über 300 Europacup- und Länderspiele leitete und seither als Delegierter der EHF bei solchen Begegnungen im Einsatz steht. Damit relativiert er auch die Aussagen, die sein langjähriger Schiedsrichterpartner Michel Falcone gemacht hat. Rätz kann sich an lediglich drei oder vier Telefonanrufe im Vorfeld von internationalen Spielen erinnern, die man in die Nähe eines Bestechungsversuchs rücken könnte. In einem einzigen Fall wurde der Anrufer deutlich und fragte nach, wie viel denn ein Sieg koste. «Als Schweizer genossen wir allerdings den Ruf, unbestechlich zu sein», schränkt Rätz ein, der hauptberuflich als Lehrer arbeitet. Gut möglich, dass er und sein jeweiliger Partner deshalb seltener angegangen wurden als Kollegen aus anderen Ländern.Wichtig findet Rätz in diesem Zusammenhang die Frage, wo Gastfreundschaft aufhört und Bestechung beginnt. Er erinnert sich an eine Situation in Russland, als ihm ein einheimischer Funktionär fünfzig Dollar in die Hand drückte mit dem Hinweis, er solle sich bis zum Start des Inlandflugs doch noch verpflegen. Oder an die Sitten beim königlichen FC Barcelona, wo jeder der beiden Schiedsrichter jeweils eine eigene Suite in einem Fünfsternhotel bekam. Geschenke für 100 FrankenBeides empfindet Felix Rätz nicht als Bestechungsversuch, ebenso wenig wie die fast schon übliche Flasche Wein oder Schnaps, die er in vielen Ländern als Geschenk erhalten hat. Eine klare Limite des Erlaubten hat die EHF bisher nicht gesetzt. Als Faustregel galt, ein Referee dürfe annehmen, was er selber tragen könne. Wobei keineswegs an einen Koffer voller Geld gedacht wurde. «Das System zu ändern, ist schwierig. Die einzige Chance ist, dass die EHF einen Höchstbetrag festlegt», meint der erfahrene Schweizer Spielleiter. Er könnte sich vorstellen, Geschenke auf einen Wert von höchstens 100 Franken zu beschränken.Ebenso wichtig wie die Grösse des Geschenks sind die Modalitäten der Übergabe. Rätz: «Am liebsten hatte ich es, wenn wir erst nach dem Spiel eine kleine Aufmerksamkeit überreicht bekamen.» Stand schon etwas bei der Ankunft im Hotelzimmer, habe er es immer erst nach dem Spiel geöffnet, um sich nicht etwas vorwerfen lassen zu müssen.
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