Dirigentin Gemma New«In Neuseeland sprichst du nicht für dich selbst»
Das Berner Symphonieorchester spielt diese Woche unter der neuseeländischen Dirigentin Gemma New. Mozart findet sie «crazy-cool».

Während die Fotografin ihre Ausrüstung auspackt, stellt sich Gemma New an die grosse Fensterfront im Südfoyer des Casinos und betrachtet das besonnte Berner Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau. Sie habe als Kind in den neuseeländischen Bergen Skifahren gelernt, erzählt die Dirigentin beiläufig, nach einem Armbruch auf der Piste aber nie wieder damit begonnen.
«Zu wissen, dass die Natur draussen vor der Tür wartet, ist ein Privileg», meint Gemma New, ihre Aufmerksamkeit nun der Kamera widmend. Sie weiss, wovon sie spricht: Die 36-jährige Dirigentin ist in Wellington, Neuseeland, aufgewachsen. Wellington, die Stadt am südlichsten Zipfel der Nordinsel Neuseelands, rundherum das Meer, Hügel und ganz viel Grün. Jahr für Jahr wird die Stadt mit gut 200’000 Einwohnenden zur windigsten Stadt der Welt erkoren. New schmunzelt: «Wenn es dort regnet, tut es das von allen Seiten.»
Von Wellington in die USA
Die Nähe zur Natur sei für die neuseeländische Kultur prägend, sagt New. Die Menschen dort seien bodenständig und entspannt, ausserdem habe man ausserordentlich flache soziale Hierarchien: «Wir leben in der Überzeugung, dass alle Menschen gleich sind. Wenn man den Premierminister irgendwo antrifft, grüsst man ihn – und scheut sich auch nicht, ihm die eigene Meinung zu sagen.»
Man kennt sich, man schaut zueinander: Dass diese Grundwerte nicht überall auf der Welt gegeben sind, hat Gemma New erst in ihrem Masterstudium in Dirigieren an der Peabody University in Baltimore, USA, realisiert. «In Neuseeland sprichst du nicht für dich selbst, die Gemeinschaft sorgt für dich. In den USA aber realisierte ich: Wenn du nicht für dich einstehst, macht es niemand.»
Ihre frühe musikalische Ausbildung erhielt sie in einem rundum unterstützenden Umfeld. New begann als Fünfjährige mit der Geige, später kam das Klavier dazu. Mit zwölf trat sie dem Jugendorchester in ihrer Heimatstadt bei: «Und ich wusste in dem Moment, dass ich für den Rest meines Lebens Teil eines Orchesters sein möchte.» Dass sie dies nicht mit der Geige, sondern mit dem Dirigierstab tun würde, merkte sie, als sie drei Jahre später die Möglichkeit zum Dirigieren erhielt. «Ich fühlte, dass das die musikalische Stimme in mir ist, die ich teilen will», so New.
Eines führte zum anderen, New wurde Dirigentin beim Christchurch Youth Orchestra, später Assistentin beim Christchurch Symphony Orchestra und der Oper. Die Verbindungen auf dem Inselstaat zwischen professionellen Betrieben und dem Nachwuchs sind eng: Mitglieder des New Zealand Symphony Orchestras agieren beispielsweise als Mentorinnen und Mentoren für das nationale Jugendorchester. Regelmässig spielt der Nachwuchs zudem unter renommierten Gastdirigenten, so beispielsweise Yannik Nézet-Séguin oder Jacques Lacombe. Letzterer war es schliesslich, der die junge Maestra für das Studium an der Peabody University empfahl. Und dann? 2015 wurde Gemma New Musikdirektorin des Hamilton Philharmonic Orchestra in Kanada, 2018 Erste Gastdirigentin beim Dallas Symphony Orchestra, seit 2022 ist sie Chefdirigentin des New Zealand Symphony Orchestra.
Wenn Farbglasfenster schmelzen
Auf ihren Beruf – oder ihre Berufung – angesprochen, sagt New: «Zu dirigieren bedeutet vor allem Kommunikation, Wissensvermittlung, emotionale Zugänglichkeit. Und: Energie.» Sofort merkt man: Über Musik redet sie gerne. Fast so, als hätte sie das ganze Gespräch darauf gewartet, endlich auf das Wesentliche zu sprechen zu kommen.
Auf das Berner Konzertprogramm mit Strawinsky, Mendelssohn, Fung und Mozart angesprochen, wird die Dirigentin leidenschaftlich. Mit einem verträumten Seufzer beginnt sie Ausführungen zu Mozarts «Prager» Sinfonie. Sie spricht von der inspirierenden Energie der Motive, von den plötzlichen Forte-Ausbrüchen und Dissonanzen in den Randsätzen, von der graziösen Eleganz und dem tiefdunklen Schwermut im Mittelsatz. «Es gibt so viel zu entdecken in dieser crazy-coolen Musik!», so New. Ganz anders – melancholisch und sanft – klingt ihre Stimme, wenn sie über Mendelssohn spricht, oder wenn sie lässig die «Coolness» der zeitgenössischen kanadischen Komponistin Vivian Fung anpreist.
Fungs sechsminütiges Werk «Baroque Melting» (2016/17) steht als zeitgenössische Prise im Konzertprogramm. New sagt darüber: «Fung nimmt ein barockes, prägnantes Motiv und löst es dann in einem grossen Wirbel von Tönen und Rhythmen auf. Es klingt, als würde ein Farbglasfenster schmelzen und klebrig die Wand herunterfliessen.» Am Schluss verschwinde die Musik in einem Flüstern, sagt die Dirigentin und haucht sanft in die Luft.
Die Energie, mit der Gemma New sich über die Musik ausdrückt, die Gestik, mit der sie so vieles miterzählt, was sie nicht in Worte fasst: Man gebe ihr unbedingt einen Dirigierstab, eine Partitur und ein Orchester.
Casino Bern, Donnerstag, 16. und Freitag, 17. Februar, jeweils 19.30 Uhr
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