In IS-Hand – warum Ramadi wichtig ist
Die irakische Stadt ist gefallen. Was bedeutet sie für den Irak, für die USA und für das Anti-IS-Bündnis?
Die strategisch bedeutende Stadt Ramadi fällt in die Hand des IS. Wie konnte das passieren? Ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen im Kampf gegen die Terrormiliz und die Bedeutung von Ramadi für den Irak.
Gut ein Jahr nach ihrem Aufkommen im Norden und Westen des Irak hat die sunnitische Terrormiliz Islamischer Staat an diesem Wochenende Ramadi eingenommen. Ramadi ist die erste grosse Stadt, die seit dem vergangenen Sommer in die Hand des IS fällt – und das, obwohl die irakischen Truppen, kurdischen Peschmerga-Kämpfer und schiitischen Milizen im Kampf gegen die Terroristen stetig Boden gut gemacht hatten.
Warum ist Ramadi wichtig?
Ramadi ist die Hauptstadt der Provinz Anbar, einer riesigen Region, in der hauptsächlich Sunniten leben. Das Misstrauen gegen die schiitisch angeführte Regierung in Bagdad ist gross. In Anbar führten US-Truppen während der acht Jahre andauernden Irakinvasion ihre blutigsten Gefechte seit dem Vietnamkrieg. Erfolg gegen Kämpfer hatten die USA nur, als sich 2006 sunnitische Stammesführer und frühere Aufständische im Rahmen der sogenannten Sahwa-Bewegung an ihre Seite stellten.
Seit dem Rückzug des US-Militärs Ende 2011 hat die irakische Führung die Sahwas weitgehend ignoriert. Die Wut der Sunniten auf Bagdad ist stetig gewachsen. Als irakische Streitkräfte ein grosses sunnitisches Protestlager nahe Ramadi Ende 2013 auflösten, nahmen der IS und andere Milizen Teile der Stadt und des nahen Falludscha ein. Irakische Kräfte versuchen seitdem, die Extremisten aus Anbar zu vertreiben – mit nur wenig Erfolg.
Ramadi liegt 115 Kilometer westlich von Bagdad an einer Schnellstrasse, die Bagdad mit Syrien und Jordanien verbindet. 2003 lebten in der Stadt rund 850'000 Menschen, aber die meisten Einwohner sind wegen der Gewalt in den vergangenen zwölf Jahren geflohen. Als der IS die Stadt am Wochenende einnahm, lebten nur noch knapp 5000 Familien in Ramadi. Die meisten davon dürften spätestens jetzt versuchen, aus der Stadt zu fliehen.
Was bedeutet Ramadis Fall für das internationale anti-IS-Bündnis?
Für die irakische Regierung ist es ein schwerer Schlag. Sie hat seit dem IS-Vormarsch vor einem Jahr Probleme damit, seine von den USA ausgebildete und ausgestattete Armee wiederaufzubauen. Ministerpräsident Haidar al-Abadi hat versprochen, den Sicherheitsapparat wieder in die Gänge zu bekommen, dafür streckte er seine Hand auch in Richtung kurdischer Kämpfer und sunnitischer Minderheiten aus.
Der Verlust von Ramadi wirft auch ernsthafte Bedenken über die Effektivität der US-geführten Luftangriffe beim Zurückdrängen der Extremisten auf. Allein in den vergangenen 24 Stunden waren es acht Angriffe aus der Luft, in den letzten drei Wochen ganze 32.
Eine Erfolgsserie reisst damit. Die irakischen Kräfte hatten mehrere Städte zurück unter ihre Kontrolle gebracht, zuletzt Tikrit Anfang April. Das erwartete Gefecht um das nordirakische Mossul muss dadurch wahrscheinlich wieder verschoben werden. Die zweitgrösste Stadt des Landes bleibt damit weiterhin im Griff des IS.
Was hat die Zusammenarbeit mit schiitischen Milizen gebracht?
Vom Iran unterstützte schiitische Milizen haben bislang eine Schlüsselrolle bei Bodenkämpfen gegen den IS gespielt. Menschenrechtsgruppen führen jedoch auch an, dass sie für Racheakte und Plünderungen verantwortlich gewesen seien.
Die Regierung hatte gehofft, in Anbar auf Armee und alliierte sunnitische Stammeskämpfer wie die Sahwa vertrauen zu können. Eine Zusammenarbeit mit den Schiiten könnte die lokale – sunnitische – Bevölkerung und Stämme davon abhalten, sich an den Kämpfen gegen den IS zu beteiligen. Eine Rolle spielt auch, dass sich die sunnitische Terrormiliz als Verteidiger der sunnitischen Muslime vor dem schiitischen Iran und seinen Verbündeten stilisiert.
Bagdad und die Menschen in Anbar haben zu diesem Zeitpunkt keine andere Möglichkeit als in die Milizen zu vertrauen. Manche sunnitische Stämme in der Provinz haben die Schiiten bereits um ihre Hilfe gebeten.
Was bedeutet der Sturz von Ramadi für die Glaubwürdigkeit der USA?
Die politische Führung des Irak beschwert sich seit langem, dass die USA nicht genug machten, um den irakischen Kräften gegen den IS zu helfen. Washington wird voraussichtlich einen Teil der Schuld am Verlust Ramadis auf sich nehmen müssen.
Diese Kritik ist jedoch nicht vollkommen gerecht. Vor der Rückeroberung Tikrits durchbrachen die US-Luftangriffe eine wochenlange Pattsituation und gaben dem irakischen Militär so einen entscheidenden Auftrieb. Auch den kurdischen Kämpfern im Norden verhalfen die US-Kampfjets zu Fortschritten. Zudem wurde die Waffenlieferung beschleunigt, im Juli bekommt der Irak von den USA seine ersten F-16-Kampfflugzeuge.
Nichtsdestotrotz sehen viele Iraker den Iran als ihren grössten Verbündeten an. Ihrer Ansicht nach haben die schiitischen Milizen vor Ort den grössten Unterschied gemacht. Sollten diese auch in Anbar Erfolg haben – während die US-Luftangriffe dort offenbar versagten – dürfte Teheran mehr Einfluss auf Bagdad sicher sein. Damit würde sich eine Entwicklung fortsetzen, die 2003 unter dem gestürzten Machthaber Saddam Hussein noch ganz anders aussah – dieser galt als der absolute Erzfeind des Iran.
Wird sich al-Abadi an der Macht halten können?
Der Fall Ramadis ist ein schmerzhafter Rückschlag für den irakischen Ministerpräsidenten, hatte er doch einen Neustart nach seinem Sieg über seinen Vorgänger Nuri al-Maliki versprochen. Dessen sektiererische Ansichten werden weitgehend als ein Grund für das Aufkommen der IS-Gruppe gesehen.
Bis jetzt konnte al-Abadi eine Reihe an Schlachtfelderfolgen verbuchen, die Beziehungen zu den Kurden verbessern und Allianzen mit den Sunniten schmieden. Kurzum: Es sah aus, als würde al-Abadi den getrennten Irak langsam wieder zusammenbringen.
Jetzt muss er erst einmal den Verlust von Ramadi erklären. Al-Maliki, der den weitgehend förmlichen Posten des Vizepräsidenten innehat, bleibt dabei auf der politischen Bühne präsent. Es gibt vielerorts Gerüchte, er sei an einem Comeback interessiert.
SDA/pst
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