In den Fängen der netten Nachbarin
Eine Frau pflegte ihre betagte Nachbarin – und plünderte deren Konten. Über 300'000 Franken soll sie für sich selbst abgezweigt haben. Nun steht sie vor Gericht.

Die Angeklagte sorgt sich sehr, dass sie wegen dieses Artikels erkannt werden könnte. Also bleiben wir vage: Sie ist die Frau, die uns nicht weiter auffällt, wenn wir ihr in der Migros beim Einkaufen begegnen. Sie ist die Bekannte, der wir während der Frühlingsferien unsere Zimmerpflanzen anvertrauen. Sie ist die Nachbarin, die wir nicht vermissen, wenn sie für ein paar Monate im Gefängnis verschwindet.
Genau das blüht jetzt womöglich dieser unscheinbaren Angeklagten. Wegen Veruntreuung und Diebstahl steht sie jetzt vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland. Die 63-Jährige aus der Region Bern betreute während eines Jahres eine betagte Frau aus ihrer Nachbarschaft. Sie war für die Pflege besorgt, tätigte Einkäufe, kochte Essen. Und mit besonderer Hingabe regelte sie die finanziellen Angelegenheiten.
Vor dem Gericht präsentierte die Berner Staatsanwaltschaft das Resultat dieses Vertrauensverhältnisses: 325'000 Franken soll die Angeklagte veruntreut und Gegenstände im Wert von 33'000 Franken gestohlen haben. Das Urteil wird heute Freitag verkündet.
Mit der Vollmacht zum Geld
Die Angeklagte kümmerte sich ab Sommer 2014 um die betagte Frau, welche fast 90-jährig und «relativ vermögend» gewesen sei, so Staatsanwältin Irma Jaggi. Pro Monat erhielt die Betreuerin für ihre Dienste 1000 Franken. Die Dinge änderten sich, als sie die alte Frau um eine Vollmacht bat – und diese auch bekam. Mit dem Geld sollte sie die laufenden Kosten und Rechnungen bezahlen. Doch sie hatte andere Ideen.
Gemäss Anklageschrift liess sie sich von einem Bankkonto insgesamt 123'000 Franken auszahlen oder überweisen. Von einem Sparkonto hob sie in einer einzigen Filiale 50'000 Franken ab und liess sich zusätzliche 80'000 Franken auf ihr eigenes Konto zukommen. Von einem Postkonto hob sie manchmal im Tagesrhythmus total 85'000 Franken ab. Von all diesem Geld ist aus Sicht der Staatsanwältin nur gerade die monatliche Entschädigung von total 13'000 Franken gerechtfertigt.
Damit nicht genug: Auch auf Gegenstände in der Wohnung hatte es die Pflegerin abgesehen. Einen Goldbarren der Frau hatte sie gegen 3770 Franken eingetauscht, für 56 Goldvreneli hatte sie 12'100 Franken bekommen. Sie stahl wertvolle Bilder, Schmuck und Uhren. Und schliesslich tauschte sie das alte Auto der betagten Frau auch noch als Anzahlung an einen eigenen neuen Wagen ein. Das ging so bis zum Sommer 2015, als ihr der zuständige regionale Sozialdienst auf die Spur kam.
Die Angeklagte spielte vor Gericht das Unschuldslamm. Wortreich erklärte sie, dass sie immer im Sinn der Betagten gehandelt habe, dass sie nur deren Rechnungen bezahlt habe. Und die flatterten offenbar nur so herein. «Sie hat sich nicht mit wenig zufriedengegeben.» Ob Whisky oder Lachs, nur das Beste sei gut genug gewesen. «Sie hat mir auch Schenkungen gemacht», betonte die Angeklagte. Denn ihre grosse Angst sei es gewesen, dass ihr Bruder das Geld erben könnte.
Verteidiger Martin Gärtl forderte für seine Mandantin einen Freispruch. «Alles geschah im Einverständnis mit der betagten Frau.» Nur könne sich diese im Nachhinein nicht mehr an die Abmachungen erinnern.
Das Vertrauen ausgenützt
Staatsanwältin Jaggi forderte eine Gefängnisstrafe von 36 Monaten, die Hälfte davon unbedingt. Die Angeklagte habe das Vertrauen und die Hilflosigkeit der betagten Frau schamlos ausgenützt und sie auch diverse Dokumente unterzeichnen lassen, um die Zahlungen zu rechtfertigen. «Ihre kriminelle Energie war sehr gross.»
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