In achtzig Klicks um die Welt
Das Norient-Musikfilmfestival findet dieses Jahr nicht statt – dafür läuft das Crowdfounding für den neuen Norient Space. Ein Besuch in der virtuellen Galerie.

Brasilien, Neuseeland, Kirgistan, Ghana: Wenn die Flugscham Fernreisen verhindert, kann man auch im World Wide Web um den Globus jetten. Natürlich ist das nicht dasselbe. Doch wer sich in der neuen virtuellen Galerie «The Now in Sound» umsieht und umhört, kommt ziemlich nah ran an das Leben anderswo. Hier fliessen Originaltöne, Bilder und Filme von rund 700 Künstlerinnen und Künstlern aus allen Weltgegenden zusammen.
Und während man auf touristischen Pfaden meist am wirklichen Leben der Menschen vorbeitrampelt, treten diese hier unmittelbar auf in ihrer Welt und mit ihrer Sicht auf die Welt – auch auf die unsere. Das klingt traditionell oder technoid oder beides zusammen, fremd, vertraut, vernetzt in einem feinen Gewebe aus Geräuschen, das sich rund um die Welt spannt.
Viele Perspektiven statt einseitige Klischees
Hinter der neuen Plattform stehen die Macher des Onlinemagazins und Musikfilmfestivals Norient um den Berner Musikethnologen Thomas Burkhalter. Norient trägt schon im Namen die Absage an all die Klischees, die den eurozentrischen Blick auf andere Kulturen trüben. Das Kunstwort setzt sich aus «No» und «Orientalism» zusammen, was frei übersetzt so viel heisst wie «Hört auf mit dieser 1001-Nacht-Romantik» – wie man weiss, ist der märchenhafte Orient, der seit Jahrhunderten die westliche Kunst inspiriert, auch ein chronischer Krisenherd. Wobei wir schon wieder bei einem Klischee sind.
Ein anderes ist jenes vom schwarzen Katastrophenkontinent Afrika. Was Rapper, Spoken-Word-Artisten und Sängerinnen in Ghanas Hauptstadt denken und wofür sie kämpfen, lotet der Film «Contradict – Ideas for a New World» (mehr zum Film lesen Sie hier) aus, den Thomas Burkhalter und Peter Guyer realisiert haben (der Film läuft in Solothurn an den Filmtagen, siehe Box).
«Es ist heute viel einfacher, Musik zu machen und zu verbreiten, als noch vor zehn, zwanzig Jahren.»
Dabei baten die beiden lokale Musikgrössen, zu komponieren, aufzutreten und Videoclips zu drehen, während sie ihrerseits diese Selbstdarstellungen filmten. So entstehen authentischere Bilder einer Welt jenseits von einseitigen Deutungshoheiten. Im neuen Norient Space bekommt man nicht nur Einblicke in die Machart des Films, sondern auch Zugang zur Arbeit und zur Community der darin vorkommenden Musikerinnen und Musiker, welche umgekehrt die Arbeit des Schweizer Filmteams diskutieren, durchaus auch kritisch.
Technische Möglichkeiten versus Geldknappheit
«Es ist heute viel einfacher, Musik zu machen und zu verbreiten, als noch vor zehn, zwanzig Jahren», sagt einer der Protagonisten im Film «Contradict». «Du brauchst nur ein Mobiltelefon und ein paar Bits.» Tatsächlich stand das interaktive Netz 2.0 im Jahr 2002, als Thomas Burkhalter Norient gründete, noch am Anfang. Doch schon damals liess Norient Töne hören, mit denen technologisch versierte Tüftler Soundspuren in eine Zukunft ohne geografische Grenzen legten.
Heute, fast zwanzig Jahre später, sind gemeinsame Produktionen etwa von Bagdad, Bern und Buenos Aires aus nichts Besonderes mehr. Dass das herkömmliche Norient-Magazin nun abgestellt wurde und durch den offeneren, multiperspektivischen Norient Space ersetzt werden soll, ist einerseits eine zeitgemässe Erneuerung.
Andererseits haben finanzielle Probleme zur Zäsur im langjährigen Schaffen der Magazin- und Festivalmacher geführt. Auch Norient ist wohl zu stark gewachsen. Um den probehalber online geöffneten Norient Space langfristig lancieren zu können, sind Burkhalter und seine Leute noch auf der Suche nach Gründungsmitgliedern, welche die virtuelle Galerie mitfinanzieren möchten. «The Now in Sound» und das Crowdfunding laufen bis Ende Januar.
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