Im Zentrum von Kriegsverbrechen
Die in Biel geborene Filmemacherin Heidi Specogna wagt in «Cahier africain» einen schonungslosen Einblick in die blutige Gegenwart der Zentralafrikanischen Republik.
Wir sind im Quartier PK-12 in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, einem der ärmsten Länder der Welt, an der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo. Über diese Grenze kamen 2002 kongolesische Söldner: gerufen anscheinend, um einen Staatsstreich zu verhindern, doch in Tat und Wahrheit von ihrem Befehlshaber dazu angestiftet, inmitten der Zivilbevölkerung zu plündern, zu morden und systematisch zu vergewaltigen.
Diese Gräueltaten standen bereits im Zentrum von Heidi Specognas Dokumentarfilm «Carte blanche» (2011), ausgehend vom Prozess gegen den kongolesischen Truppenführer Jean-Pierre Bemba, der sich am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten musste.
«Cahier africain» nimmt diesen Faden nun wieder auf, führt uns erneut nach PK-12, wo die Wunden seit den Überfällen – im wahrsten Sinne des Wortes – nur schlecht verheilt sind. Das titelgebende afrikanische Schulheft enthält Hunderte von Zeugenaussagen: Frauen und Männer beschreiben ausführlich und mutig, was ihnen angetan wurde – als Beweisstück für die Anklage.
«Cahier africain» ist in seinem ersten Drittel ein Film über die Bewältigung eines Bürgerkriegs, über das schmerzliche Danach: über ein 12-jähriges Mädchen etwa, das während einer solchen Vergewaltigung gezeugt wurde. Über eine Schussverletzung am Knie, die bis heute immer wieder aufbricht. Über Albträume, die bleiben.
Mehrjährige Dreharbeiten
Doch die mehrjährigen Dreharbeiten von «Cahier africain» wurden prompt von neuen Konflikten überschattet: Die muslimischen Séléka-Rebellen und die christliche Anti-Balaka-Miliz begannen damit, sich in Bangui blutige Gefechte zu liefern. Und einmal mehr mittendrin: die Zivilbevölkerung.
Das Bemerkenswerte an Heidi Specognas Film ist, dass sie diese ganze Geschichte erzählen kann, ohne ihr Publikum mit unnötigen Fakten zur verworrenen politischen Situation zu bombardieren: Sie lässt sich viel Zeit für das Betrachten der Protagonisten, sie filmt nicht nur deren Krisen, sondern auch deren Alltag, deren Humor.
Vermisst: Normalität
Das als Langzeitbeobachtung geplante und durchgeführte Projekt gibt in diesen Szenen den Blick frei auf das, was die Bevölkerung von PK-12 so schmerzlich vermisst: Normalität. Specogna erzeugt zu ihren Figuren eine Nähe, welche die mediale Berichterstattung über die krisengeschüttelte Region oft nicht herstellen kann. Umso mehr geht es unter die Haut, wenn auf einem Fussweg plötzlich die Leichen zweier exekutierter Männer liegen und der nächste Regierungsputsch eine Frage der Zeit zu sein scheint.
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