Im Sperrgebiet Bellevue beim (fast) unsichtbaren Giganten
Beim Staatsbesuch in Bern bleibt Xi Jinping lieber diskret im Hintergrund, und doch ist Chinas Staatspräsident in Bern omnipräsent. Bei seiner Charmeoffensive spielt das Lächeln die Hauptrolle.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind massiv. Nicht nur wer ins Hotel Bellevue will, wird streng kontrolliert. Auch die ältere Frau, die unterwegs zur Fust-Filiale am Münzgraben ist, muss mit ihrem defekten Wasserkocher wie am Flughafen durch die Sicherheitsschleuse.
Als der Alarm losgeht, wird sie gefragt, ob sie ein künstliches Hüftgelenk habe. Ein chinesischer Journalist enerviert sich, weil er nach einem kurzen Spaziergang in Bern erneut kontrolliert wird. Und ich selbst muss ins Separee, weil man meine Schuhe genauer unter die Lupe nehmen will.
Im Bellevue dominiert der chinesische Medientross. Er ist personell stark dotiert und technisch beneidenswert ausgerüstet. Im Salon Royal machen Beamte beider Seiten die Verträge und Memoranda of Understanding in roten und schwarzen Einbänden unterschriftsbereit. Später werden die Papiere von allerlei Ministern, Bundesräten, Botschaftern, Chefbeamten, Uni-Rektoren und Regierungsräten unterzeichnet.
Über den Niederungen des Signatur-Marathons lächeln der Präsident und die Präsidentin in den Salon Royal, routiniert er, treuherzig sie. Schliesslich packt ein chinesischer Beamter den Stapel von insgesamt zehn roten Exemplaren kurzerhand in eine Papiertasche mit der Aufschrift «Schweizerhof».
Der Bundesrat empfängt China: Die Medienkonferenz im Video. (Video: Tamedia Webvideo)
In ihrer Rede beschwört Bundespräsidentin Doris Leuthard den «Pioniergeist». Am Dienstag vor 67 Jahren anerkannte die Schweiz die Regierung von Mao Zedong. Seit zehn Jahren hat China für die Schweiz den Status einer vollwertigen Marktwirtschaft. 2013 wurde das Freihandelsabkommen abgeschlossen, das erste mit einem Land in Europa, das «Fundament» der «innovativen strategischen Partnerschaft».
Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping würdigt das Verhältnis als «Musterbeispiel der Zusammenarbeit» und lobt «Respekt, Gleichberechtigung und gegenseitigen Nutzen». Er spricht von Handel, Investitionen, Versicherungen, Energiemarkt und Umweltschutz.
Dann erklärt er 2017 zum Jahr des Tourismus. Nicht nur die staatlichen Bande, sondern auch die «zwischenmenschlichen Kontakte» zwischen den Völkern sollen gestärkt werden. «Auf der individuellen Ebene Interesse wecken», so hatte das Leuthard zuvor umschrieben. Parteitage der chinesischen KP sind von endlosen Reden geprägt. In Bern genügen Xi sieben Minuten. Höchstens. Dann geht der Präsident. Fragen sind nicht vorgesehen.

Für solche steht darauf Gastgeberin Leuthard im Nebenraum kurz zur Verfügung. Was also ist mit den Menschenrechten im Reich der Mitte? Über «Gefängnisse, Polizeieinsätze und Medienfreiheit» sei gesprochen worden, China vertrete da natürlich andere Meinungen, wichtig sei aber, «ein offenes Ohr» zu haben und im Gespräch zu bleiben.
Dafür brauche es Diskretion: «Verbesserungen erreicht man nur mit Gesprächen im inoffiziellen Rahmen.» Unbehagen über die Sicherheitsmassnahmen versteht sie: «Es ist unangenehm für unsere Art.» Und sicher sei die Schweiz viel kleiner als China, aber: «Es ist nicht ein Verhältnis David zu Goliath.»
Es ist nicht ein Verhältnis David zu Goliath.
In ihrem ersten Präsidialjahr empfing Leuthard 2010 die Präsidenten der Türkei, Abdullah Gül, und Deutschlands, Christian Wulff, zu Staatsbesuchen. Beide sind längst weg vom Fenster. Bei Xi Jinping bekommt man gerade wegen der inszenierten Entrücktheit den Eindruck, dass er gekommen ist, um etwas länger zu bleiben.
Unterzeichnet wird im Salon Royal auch ein Abkommen über die kulturelle Zusammenarbeit. Pro Helvetia unterhält seit 2010 in der chinesischen Hauptstadt Peking ein Verbindungsbüro. In seiner Rede kündigt Xi umgekehrt die Eröffnung eines chinesischen Kulturzentrums in Bern an.
Dort kann man dereinst vielleicht in Xis Büchern blättern. «China regieren» zum Beispiel enthält 79 Reden und Gespräche, letzte Woche ist das Werk in Genf an einer «Messe des chinesischen Buches» in den drei Amtssprachen präsentiert worden. Erschienen ist es bisher in über zehn Sprachen.
Weltweit unter die Leute gebracht wurden davon nach offiziellen Angaben 6,2 Millionen Exemplare. Damit spielt Xi – rein auflagemässig betrachtet – in einer Liga mit Stéphane Hessel und dessen Bestseller «Empört euch!».
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