Im Revier der Raubtiere
Für einmal im statt vor dem Gehege: «Forum»-Leserin Cordula Weber aus Köniz durfte im Tierpark Dählhölzli einen Tierpfleger auf Schritt und Tritt begleiten.

Sorgfältig wickelt Cordula Weber den Draht um die tote Ratte. «Das hat ein bisschen Überwindung gebraucht», wird sie später sagen. Vom Baum herab schaut eine der beiden Wildkatzen dem Treiben in ihrem Revier aufmerksam zu.
Es ist ein Höhepunkt, aber nicht der Höhepunkt für die 61-jährige «Forum»-Leserin aus Köniz an diesem Morgen.
Die hauseigene Metzgerei
In einer Mail an diese Zeitung schreibt Cordula Weber, dass sie oft im Dählhölzli spazieren gehe und sich gerne einmal näher bei den Tieren aufhalten würde. Wir erfahren, dass sie vor allem eine Vorliebe für Raubtiere hat.
Das «Forum» kontaktiert daraufhin den Tierpark, welcher sich bereit erklärt, den Wunsch zu erfüllen. Die Vorfreude bei der Leserin ist in der Folge gross: «Die Spannung steigt», schreibt sie in der Woche vor dem «grossen» Tag der Redaktion.
Dann ist es so weit. Um 7.30 Uhr wird Cordula Weber von Thomas Marti in Empfang genommen. Der 30-Jährige aus Heimberg befindet sich in der Ausbildung zum Tierpfleger. Als er die Pforten zum Park öffnet, ist dieser für das Publikum noch geschlossen – und somit menschenleer. «Die schönste Zeit des Tages», sagt Marti, während er die Leserin in die hauseigene Metzgerei führt. Futter holen ist angesagt. Raubtiere fressen bekanntlich ganz schön viel.

Im Kühlraum erfährt Cordula Weber unter anderem, woher das Fressen für die Tiere stammt. «Von der Migros erhalten wir verbilligt die abgelaufenen, tiefgefrorenen Pouletflügeli, von der Polizei die toten Tiere von Wildunfällen, von der Growa Gemüse», zählt Marti einige Zulieferer auf. Dass die Tierpfleger in der Metzgerei ab und an auch selber Hand anlegen müssen, sei nicht jedermanns Sache, «gehört aber nun mal zum Job dazu».
Saphira und Sadeg
Vorbei an den Seehunden geht es voll beladen mit Futter zu den Persischen Leoparden. Sicherheit wird hier – wie überall im Raubtierrevier – grossgeschrieben. Tierpfleger Thomas Marti holt die beiden aus ihren Gehegen, damit diese geputzt werden können. Ausgestattet mit Schaufel und Kübel, sammelt Cordula Weber Kot ein, derweil Thomas Marti das Netz auf seine Stabilität überprüft.

Danach zieht er Saphira, dem Weibchen, ein totes Huhn und Sadeg, dem Männchen, ein Stück Reh mit einem Flaschenzug in den Baum hoch. Als der Tierpfleger die Luke für die Leoparden wieder öffnet, stürzt sich das Weibchen direkt auf das Huhn und zerrupft es. «Ein eindrückliches Schauspiel», entfährt es Weber vor dem Gehege.

Das Männchen hingegen schenkt dem Fleisch kaum Beachtung. «Er ist unglaublich träge, scheut jeden Aufwand», erzählt Marti. Bleibt das Fleisch zwei, drei Tage unberührt, freut das die Wölfe. «Als Aasfresser lieben sie abgestandenes Fleisch.» Bleiben dann noch Knochen übrig, landen diese im Bärengehege und werden von Mascha und Mischa zermalmt, damit sie das proteinhaltige Knochenmark verzerren können.
Namenlose Wildkatzen
Gleich neben den Leoparden hausen die beiden Wildkatzen. «Sie sind die einzigen Raubtiere ohne Namen», erklärt Marti. Wieder hilft Cordula Weber beim Misten des Geheges fleissig mit. «Das ist Teil der Arbeit», sagt sie schon ganz abgeklärt. Auch bei den Wildkatzen zeigt sich das Weibchen von der hungrigeren Seite. Kein Wunder, es ist schwanger – und verschlingt die Ratte schneller, als Cordula Weber sie aufgehängt hat. Eine weitere, im Gehege versteckte Ratte spürt sie mit ihrer Nase spielend leicht auf.
Juliette und Amarouk
Nach einer kurzen Znünipause geht es aufgewärmt weiter zum Wolfsgehege, besser gesagt ins Wolfsgehege. Auch hier wird Fleisch deponiert. Je rund anderthalb Kilogramm verschlingen Juliette und Amarouk pro Tag. Cordula Weber und Thomas Marti marschieren den Zaun ab, der Tierpfleger unterzieht diesen einem Stromtest. Und die Tiere? Sie befinden sich ebenfalls im Gehege, halten aber immer den höchstmöglichen Abstand. Zu gross ist ihre Angst vor den Menschen. Die Geschichte vom bösen Wolf? «Eine Mär», sagt Marti.
Mascha und Mischa
Fehlen noch die bekanntesten Parkbewohner. Die Bären Mascha und Mischa. Für sie muss der Tierpfleger erst einmal das Futter zubereiten. Und Medizin, die er ihnen damit verabreicht. Leinenöl soll bei Mascha für ein schöneres Fell sorgen, während Mischa ein Mittel bekommt, damit er seine Hormone besser unter Kontrolle hat. «Mascha, Mischa», ruft Thomas Marti. Die Bären gehorchen, kommen aus dem Gehege in den Käfig, lassen sich füttern.
Dann darf Cordula Weber Mischa ein Stück Brot geben. Mit der Zunge frisst der 250-Kilo-Hüne aus ihrer Hand. «Was für ein Erlebnis, das war der Höhepunkt des Tages.» Im Anschluss verteilt sie im leeren Bärenpark weiteres Futter, Eicheln und noch mehr Brot. «Damit Mascha und Mischa etwas zu tun haben», erklärt Marti. Cordula Weber lässt derweil ihren Besuch im Dählhölzli Revue passieren. «Es war super. Dieser Tag wird mir noch lange, lange Freude bereiten.» Sie schwärmt von den vielen Informationen, die sie von Tierpfleger Thomas Marti erhalten hat, und von der Nähe zu den Tieren. «Der Tag hat meine Erwartungen übertroffen.»
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