Im Notfall ist er in fünf Minuten in der Luft
NotarztMit der Skisaison beginnt auch für die Rega eine arbeitsintensive Zeit. Marco Corti arbeitet als Notarzt auf der Rega-Basis Wilderswil. Auch wenn es für eine Rettung Standardabläufe gibt; zur Routine werde seine Arbeit nicht, sagt er.
Haben Sie bei schönem oder bei schlechtem Wetter mehr zu tun? Marco Corti: Es ist sehr unterschiedlich. Prinzipiell aber können wir davon ausgehen, dass es viel zu tun gibt, wenn viele Leute unterwegs sind, also an Ferientagen bei schönem Wetter. Wie sieht Ihr Arbeitstag aus? An einem Piketttag sind wir ab acht Uhr morgens einsatzbereit. Ab dann haben wir 5-Minuten-Pikett. Das heisst, dass wir innerhalb von 5 Minuten nach Eingang des Notrufs in der Luft sind. Dies gilt im Winter bis 16.30 Uhr, im Sommer bis 18.30 Uhr. Ab dann und während der Nacht haben wir einen 30-Minuten-Pikettdienst. Wer nahe der Rega-Basis wohnt, kann ihn von zu Hause aus leisten. Sie müssen also während 24 Stunden ständig bereit sein? Es ist schon eine Anspannung. Auch wenn wir zu Hause Pikett leisten, brauchen wir meist weniger als 30 Minuten, bis wir in der Luft sind, denn wir erwarten den Einsatz jederzeit und sind darauf eingestellt, sofort wegzurennen. Aber daran gewöhnt man sich, es ist auch möglich zu schlafen. Wie werden Sie alarmiert? Die Anrufe auf die Rega-Notrufnummer 1414 werden von der Zentrale in Zürich entgegengenommen. Zürich alarmiert uns über Funk. Wir bestätigen und hören dann erste Informationen. Im Team besprechen wir kurz, ob wir etwas Spezielles planen oder mitnehmen müssen. Dann nach unten zum Hangar, Jacke, Funk nehmen, Helikopter rausstellen, abfliegen. Weitere Informationen erhalten wir via Funk während des Fluges. Und vor Ort sind die Abläufe standardisiert? Theoretisch ja. Wir haben Standardabläufe für eine Rettung. Nur sind die Situationen meist so unterschiedlich, dass man nicht von Standardsituationen sprechen kann. Manchmal müssen wir weitere Hilfe organisieren, manchmal sind die Verletzungen sehr schwer oder die topografischen Bedingungen nicht einfach, vielleicht erschwert das Wetter die Arbeit. Deshalb wird es nie Routine. Welche Eigenschaften helfen Ihnen bei Ihrer Arbeit? Flexibel und improvisationsfreudig zu sein, hilft bei den Einsätzen. Selbstständig arbeiten zu können, ist auch wichtig, denn wenn einen der Helikopter an der Winde hinunterlässt, ist man manchmal mit einem Schwerverletzten allein. Neben medizinischen brauchen Sie auch sportliche Fähigkeiten. Wenn man nicht schwindelfrei ist und nicht wagt, ein paar Schritte auf einem Grat zu gehen, oder eine Bahre nicht anheben kann, ist das schon nicht dienlich. Ist es wichtig, dass Sie die Gegend der Einsätze kennen? Es kommt vor, dass die Helikopter in der Schweiz verteilt sind, wir etwa zu einem Einsatz in Sörenberg gerufen werden und der Berner Helikopter die Einsätze in unserem Gebiet übernimmt. Von Sörenberg fliegen wir dann vielleicht ins Spital Luzern und werden dort zu einem Folgeeinsatz ins Gotthardgebiet gerufen, weil der Urner Helikopter ebenfalls unterwegs ist. Das ist eher für den Piloten anspruchsvoll, für mich spielt es keine Rolle, ob ein Patient auf dem Gotthard oder auf der Scheidegg versorgt werden muss. Was an Ihrer Arbeit macht Ihnen Mühe? Schlimme, tragisch ausgehende Unfälle. Es beschäftigt mich auch, wenn junge Menschen oder Kinder beteiligt sind. Diese Gedanken sind dann auch nach Feierabend präsent. Haben Sie manchmal das Gefühl, vor Ort nicht weiterzuwissen? Medizinisch haben wir für die Erstversorgung klare Leitlinien, die sind im Kopf drin und noch im Halbschlaf abrufbar, aber auch in den grössten Stresssituationen. Somit hat man stets eine Strategie bereit; die Angst, nicht mehr weiterzuwissen, tritt in den Hintergrund. Sie arbeiten auch im Spital. Wo liegen die Unterschiede zur Arbeit bei der Rega? Im Spital mache ich Narkosen für Operationen. Der Patient wurde vorher untersucht, wir kennen die Vorerkrankungen und wissen, welche weiteren Schritte geplant sind. Wir haben genügend Zeit und genügend Hilfe, die Raumtemperatur ist konstant. Draussen kennen wir den Patienten nicht, müssen zuerst herausfinden, was er braucht. Einen Zugang zu legen, um ein Medikament zu spritzen, ist im Spital kein Thema. Draussen in der Kälte kann das aber bereits zum Problem werden. Eine Atemwegssicherung auf einem Geröllfeld ist kompliziert, wenn der Patient rutscht, sobald man ihn berührt. Manchmal sind die Lichtverhältnisse schwierig, und es fehlen helfende Hände. Ich bin sehr froh, beides zu haben: So kann ich unter standardisierten Spitalbedingungen Erfahrungen und Routine sammeln und das dann draussen anwenden. Wünschen Sie sich manchmal einen Bürojob? Absolut nicht. Nein. Nie. Ich finde, ich könnte keine bessere oder spannendere Arbeit haben. Bei welchen Verletzungen werden Sie gerufen? Bei Unfällen im Gebirge, auf der Autobahn, im Tunnel oder auf dem See sieht man alles, vom unverletzten Bergsteiger, der sich verstiegen hat, über leicht Verletzte, die beim Skifahren gestürzt sind, bis hin zu schwerstverletzten Personen, die abgestürzt sind oder einen Autounfall hatten. Ein Teil unserer Arbeit sind zudem Verlegungen von Patienten in andere Spitäler. Rücken Sie manchmal auch vergebens aus? Es kann schon vorkommen, dass ein Anruf kommt, es sei irgendwo am Berg eine Person winkend und möglicherweise um Hilfe rufend gesichtet worden und wir dann vor Ort niemanden vorfinden, es sich um eine Fehlinformation handelte. Aber das ist sehr, sehr selten. Auch wenn die Informationen vage sind, können wir vor einem Einsatz nicht einfach sagen, uns brauchts nicht. Ihre Arbeit ist nicht ungefährlich. Vor einem Jahr kam ein Rega-Arzt ums Leben. Oberstes Gebot ist, dass man bei der Rettung nicht weitere Personen gefährdet, also auch wir uns nicht. Es kommt vor, dass wir im Wissen darum, dass ein Patient Hilfe bräuchte, nicht fliegen, weil es die Bedingungen einfach nicht zulassen. Dann muss man zu Fuss zu retten versuchen. Letzten Sommer mussten Alpinisten auf über 4000 Meter biwakieren, bevor wir morgens um sechs losfliegen konnten. Meine Arbeit mag riskanter sein als die Arbeit im Büro, aber wir setzen alles daran, keine unnötigen Risiken einzugehen. Sie sind zu dritt im Helikopter. Wer trifft die Entscheidungen? Der Chef des Einsatzes ist der Pilot. Entscheidungen werden innerhalb des Teams gefällt. Gerade bei längeren und komplizierten Einsätzen wird die Situation laufend neu evaluiert und angepasst. Ich kann nicht an meiner vorgesehenen Erstversorgung festhalten, wenn plötzlich Nebel aufzieht. Wenn der Pilot sagt, dass wir nur noch wenige Minuten haben, tritt die Medizin in den Hintergrund, dann wird der Patient auch zu seiner Sicherheit zuerst evakuiert und dann versorgt. Je nach Einsatz müssen wir individuell Kompromisse finden. Wie verbringen Sie die Wartezeit auf der Basis? Wir kontrollieren, erneuern und putzen das Material oder üben das Vorgehen von Rettungsabläufen. Als Arzt bin ich auch für das Einkaufen und Kochen zuständig. Ihre Freizeit verbringen Sie im Gebirge? Ja, in diesem Sinne ist mein Arbeitsort auch der Ort, wo ich mich am besten erhole. Auf Hochtouren und beim Klettern kann ich abschalten und die Batterien aufladen. Gehen Sie anders durch diese Gegenden, seit Sie Rega-Arzt sind? Nicht nur im Gebirge, auch im Alltag, im Verkehr oder im Haushalt bin ich vorsichtiger geworden. Einfach, weil ich gesehen habe, was alles an Denkbarem und Undenkbarem passieren kann. Interview: Brigitte Walser >
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch