IM BRENNPUNKT: DAS DILEMMA DER GRÜNEN VOR DER REGIERUNGSRATSWAHL
Der Rücktritt von Rita Fuhrer und die forsche Kandidatur von Martin Bäumle kommen für die Grünen zum falschen Zeitpunkt. Es fehlen geeignete Kandidaten - die Partei kann nur verlieren.
Auf dem falschen Fuss erwischt
Wenigstens in einem Punkt ist die Personalplanung der Grünen gelungen: Die Kopräsidentin, die heute Abend die Mitgliederversammlung leitet, ist von Beruf Pfarrerin. Das trifft sich gut. Denn Jeanine Kosch muss heute Seelentrösterin, Mediatorin, Motivatorin und vor allem Schlichterin spielen. Im Zürcher Volkshaus wird es wohl chaotisch zu- und hergehen, wenn die Partei basisdemokratisch ihre Wahlstrategie festlegt.
In einer Lose-lose-Situation
Die Grünen haben heute zwei Möglichkeiten: Sie verzichten auf eine Kandidatur und unterstützen den abtrünnigen grünliberalen Martin Bäumle. Oder sie treten mit einer eigenen Kandidatur zur Ersatzwahl vom 29. November an. Das Problem an dieser Auswahl: Beide Möglichkeiten sind höchst unbefriedigend - quasi eine Lose-lose-Situation.
Verzichten die Grünen und unterstützen Bäumle, wie vom Vorstand beschlossen, ergibt das strategisch Sinn. Nur wenn sich Mitte-Links auf einen einzigen Kandidaten konzentrieren, haben sie eine Chance gegen die SVP. Denn diese tritt mit einem moderaten, umgänglichen Kandidaten an, wie die Nominierungen gezeigt haben. Kronfavorit ist der Wädenswiler Landwirt und Gemeindepräsident Ernst Stocker. Hinter dem Angebot der Grünen, die «Kröte Bäumle» zu schlucken, steckt aber auch ein Stück Fiesheit. Insgeheim rechnen die Grünen nämlich damit, dass Bäumle durch eine Nichtwahl verheizt wird und bei den Gesamterneuerungswahlen 2011 nicht mehr antritt. Die Chancen Bäumles sind jedenfalls gesunken, seit ihm die SP am Donnerstag jegliche Unterstützung verweigert hat.
Beschliessen die Grünen eine eigene Kandidatur, haben sie zwei Möglichkeiten: Sie finden eine Lichtgestalt, die Bäumle spätestens nach dem ersten Wahlgang zum Rückzug zwingt und zuletzt den währschaften SVP-Kandidaten schlägt. Oder sie finden eine Person, die bereit ist, ohne Aussicht auf Erfolg wenigsten einen attraktiven Wahlkampf zu liefern.
Bei der Suche nach möglichen Kandidaten zeigt sich aber, dass die Grünen vom Rücktritt Fuhrers komplett überrascht wurden und gar nicht reagieren können. Der Illnau-Effretiker Stadtpräsident Martin Graf, der 2007 über dem absoluten Mehr und klar vor Bäumle lag, verzichtete aus persönlichen und beruflichen Gründen. Der Offroader-Gegner Bastien Girod ist - wie bei Jungstars üblich - noch nicht bereit für die Exekutive und will sich auf seine Karriere als Nationalrat konzentrieren. Auch sein Parlamentskollege Daniel Vischer hat keine Lust auf einen Wahlkampf. Nationalrätin Marlies Bänziger aus Winterthur wird zwar vom Stadtzürcher SP-Doyen Koni Loepfe ins Spiel gebracht und wäre auf dem Land eher wählbar als Vischer und Girod. Doch Bänziger ist nicht bereit, für die SP die Kohlen aus dem Feuer zu holen, und setzt sich vehement für einen Verzicht ein.
Die SVP-Wunschkandidatin
Als einzige mögliche Kandidatin mit einem gewissen Bekanntheitsgrad verbliebe somit die Stadtzürcher Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber. Sie wäre bereit anzutreten, will sich aber nicht verheizen lassen, wie sie betont. Doch auf ein Verheizen würde eine Kandidatur hinauslaufen, auch wenn ihr die Unterstützung der SP sicher wäre. Prelicz, Professorin an der Hochschule für Soziale Arbeit Luzern, politisiert betont links-grün und hat auf dem Land gegen Bäumles und Stockers keine Chance. Sie trat schon bei der letzten Ausmarchung an und unterlag 2006 gegen Martin Graf parteiintern mit 30:71 Stimmen. «Katharina Prelicz ist die Wunschkandidatin der SVP», sagte damals der grüne Kantonsrat Robert Brunner (Steinmaur) bösartig. An dieser Einschätzung hat sich nichts geändert.
2011 stehen die Chancen besser
Somit bleibt den Grünen - Alternativen ausgenommen, die eine turbulente grüne Versammlung gebären könnte - bloss der Verzicht. Das ist besonders für die Stadtzürcher Grünen unschön, die im Frühjahr zum Grossangriff blasen möchten. Ein Verzicht hat aber auch Vorteile: Die Grünen können sich das Geld für den Wahlkampf sparen und die Personalplanung für 2011 forcieren. Denn in anderthalb Jahren könnten ihre Chancen weit besser stehen. Möglich, dass dann Markus Notter (SP) nach 15 Jahren im Amt auf eine fünfte Wahl verzichtet. Möglich ist auch, dass CVP-Mann Hans Hollenstein mangels Partnern in der Mitte Mühe haben wird. Und zumindest versprochen ist, dass Bäumle im Falle einer Nichtwahl ohne grüne Störmanöver 2011 auf einen dritten Anlauf verzichtet.
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