«Ich bin eher Literat als Musiker»
LiteraturpreisAls erster Rapper erhält der Berner Tommy Vercetti heute den Anerkennungspreis der kantonalen Literaturkommission. Zeit für ein Gespräch über sein prämiertes Album «Seiltänzer» und die Macht der Wörter.
Herr Vercetti, Sie stehen für Sprechgesang und bekommen einen Literaturpreis. Sind Sie mehr Literat oder mehr Musiker? Tommy Vercetti: Man darf die Musikalität des Rap nicht unterschätzen: Ein Rapper muss den Text rhythmisch und in der Tonalität gestalten, damit er spannend anzuhören ist. Trotzdem bin ich eher Literat als Musiker. Das Album «Seiltänzer» habe ich ja nicht allein gemacht, da waren drei Leute beteiligt. Von ihnen bin ich der, der mit Sprache arbeitet. Ist Rap also Literatur? So generell würde ich das nicht sagen. Da könnte man auch behaupten, dass jedes Hobbyaquarell Kunst ist. Von der Kategorie her ist Rap sicher literarisch, was die Qualität betrifft, hat nicht jeder Rapper diesen Anspruch. Sie schon – und Sie erhalten den Preis auch explizit für Ihre Texte, nicht für das Album insgesamt. Stört Sie das? Ich glaube, dass in meinen Texten ebendiese Musikalität enthalten ist, von der ich vorhin sprach. Ich hoffe, dass die Jury das auch so gehört und in diesem Sinne prämiert hat. Die Jury findet, Ihnen sei «ein schwindelerregender Balanceakt» gelungen. Wie interpretieren Sie das? Auf meinem Album handle ich die ganz grossen Themen ab – Liebe, Leben, Tod, Religion –, etwas anmassend, zugegeben. Das sind auf der einen Seite intellektuell aufwendige Themen, auf der anderen Seite muss ich als Rapper meine Aussagen dazu in sehr knappen, schnellen Texten auf den Punkt bringen. Sie rappen: «Wenn die Leute dich / genügend beklatschen / kannst du kritisch sein / wie du Lust hast / und trotzdem klingeln die Kassen». Ist Ihnen der Erfolg Ihres Albums suspekt? Suspekt würde ich nicht sagen, weil es ja nicht der ganz grosse Erfolg ist, auch mit diesem Preis nicht. Und Geld ist in gewissem Sinne neutral. Warum war es dann schwierig, Fördergeld für Ihr Album zu bekommen? Dem Rap wird noch immer mit grosser Ignoranz begegnet. Als ich bei der Stadt Bern einen Förderbeitrag beantragte, um «Seiltänzer» zu produzieren, bekam ich erst eine Absage ohne Begründung. Ich habe protestiert, schliesslich bin ich seit zehn Jahren aktiv, habe zwölf Mixtapes vorzuweisen und bin überall in der Schweiz präsent. Und plötzlich kam das Geld dann doch. Jetzt, mit dem Album, werde ich anders wahrgenommen. Wie anders? Plötzlich bin ich eine moralische Autorität, das ist schon faszinierend. Da rufen mich Secondo-Kids aus Bethlehem an und wollen Buchtipps von mir, wollen anfangen zu lesen, weil sie mein Album gehört haben auf dem Sie erzählen, dass Ihre Büchergestelle voll sind und Sie glücklich schlafen können, weil Sie Texte haben. Kann Sprache so viel? Zwischenmenschlich gesehen ist sie das Wichtigste. Ich denke, dass Worte als Kommunikationsmittel von nichts übertroffen werden. Haben Sie nie das Gefühl, beim Rappen zu viel preiszugeben? Früher, als ich jünger war, ging es stark um Anerkennung, Fame und so. Da habe ich mehr über mich selber gerappt. Heute versuche ich, die Dinge allgemeiner zu formulieren, allgemeingültiger auch. So kann man von meinen Texten nicht einfach Rückschlüsse auf mein Leben ziehen. Das ist mir wichtig, denn im Internetzeitalter weiss ohnehin jeder zu viel vom andern. Sind Sie nie um Worte verlegen? Na ja, ich bin schon ziemlich gut. Aber es gibt drei Bereiche, da kommt die Sprache an ihre Grenzen. Erstens im Visuellen, das kaum zu versprachlichen ist. Zweitens im Musikalischen, das eine ganz andere Kraft hat als Sprache allein – ich lese wirklich sehr viel, aber kein Buch kann bei mir Hühnerhaut auslösen wie ein Song. Deshalb bin ich auch sehr froh, dass der Text beim Rappen von der Musik getragen wird. Und drittens ist da die Beziehungsebene: Man sagt etwas, und es kommt nicht so an, wie mans meint. «Politik spiegelt Macht / doch sie brauchen unsere Wörter», rappen Sie. Politiker müssen den Leuten sagen, was diese hören wollen, um sich zu legitimieren. Sie sind abhängig von Wörtern, die an die Leute gebunden sind. Warum haben Sie «Seiltänzer» eigentlich Ihren Eltern gewidmet? Meine Eltern waren immer für mich da. Dass ich weiss, was das wert ist, kann ich ihnen auf diese Weise am besten sagen, denn «Seiltänzer» ist das bisher Wichtigste, was ich gemacht habe. Interview: Tina Uhlmann >
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