Mamablog: Ewige KinderrolleIch bin aber schon gross!
Sätze der eigenen Eltern wie «Meldest du dich auch mal wieder?» nerven. Fällt es vielen Eltern nur schwer, loszulassen? Gedanken zum paradoxen Dasein erwachsener Kinder.

«Na, meldest du dich auch mal wieder?» Das sind Worte, die niemand besonders gerne hört. Vor allem dann nicht, wenn sie von den eigenen Eltern stammen. Meine Freundin erzählte mir neulich, dass sie diesen Satz jedes Mal hört, wenn sie ihre Eltern anruft. Sie bekommt dann ein elendig schlechtes Gewissen bei der Vorstellung, ihre Eltern würden einsam zu Hause sitzen und vor dem Telefon auf ihren Anruf warten. Dabei führten die beiden ihren Erzählungen nach ein ausgesprochen aktives Leben.
Es scheint, als hätten viele von uns so einen elterlichen Triggersatz. Eine gewisse Floskel, bei der uns ein ganz befremdliches Gefühl beschleicht. Die uns etwas hilflos zurücklässt oder uns innerlich auf die Palme bringt. Man braucht sich nur mal in seinem Freundes- und Bekanntenkreis umzuhören, um auf relativ harmlose Klassiker wie diese zu stossen:
«Meldest du dich auch mal wieder?»
«Warum musstest du auch so weit wegziehen?»
«Musst du immer das letzte Wort haben?»
«Da hast du früher aber anders darüber gedacht!»
«Sei doch mal vernünftig!»
«Dein Bruder hat aber…»
«Warum musst du immer…?»
«Wo gehst du jetzt schon wieder hin?» (Es wird ja gleich dunkel)
«Wann kommst du denn nach Hause?»
Womöglich haben wir, die wir ja inzwischen selbst Eltern sind, bereits ganz ähnliche Sätze auf Lager. Heute aber soll es einmal um unsere Eltern gehen. Beziehungsweise um unser paradoxes Dasein als erwachsene Kinder.
Sind wir noch grün hinter den Ohren?
Fällt es vielen Eltern nur schwer, loszulassen? Oder woher kommt diese Ambivalenz, dass wir uns als gestandene Erwachsene so häufig in der alten Kinderrolle wiederfinden? Und warum schleppen wir so viele dieser alten Beklemmungen mit uns herum?
Auf jeden Fall sei es schon mal der falsche Weg, die Schuld allein bei unseren Eltern zu suchen, findet die Psychologin und Autorin Anne Otto. Und erklärt in ihrem Buch «Für immer Kind?» das Phänomen der gefühlt ewigen Kinderrolle zunächst mit einem demografischen Wandel unserer Gesellschaft. Die höhere Lebenserwartung und eine meist aktive Altersphase hätten dazu geführt, dass wir häufig 50 bis 60 Jahre erwachsene Lebenszeit mit unseren Eltern verbringen. Das sei weit mehr als noch vor 30 Jahren.
Auch habe sich seit dem 19. Jahrhundert die Familiendynamik wesentlich verändert, die Verbindung zwischen den Generationen und damit der Fokus aufeinander seien heute viel stärker. Dafür fehle es uns eben noch an Bewusstsein. Aber gerade weil unsere Eltern älter werden, seien wir es, die angesichts der Veränderungen in unsere Verantwortung finden und nachreifen müssten.
Wie geht erwachsen sein?
«Filiale Reife» heisst das Konzept in der Psychologie. Es sieht vor, dass wir alte Kindheitsmuster hinter uns lassen, uns von Schuldgefühlen frei machen und ein erwachsenes Verhältnis zu unseren Eltern entwickeln. Dies erleichtere es uns, die eigenen Eltern als Menschen anzusehen, die älter und schwächer werden und Unterstützung brauchen.

Müssen wir etwa unser inneres Kind aufgeben? Zum Glück nicht. Aber um die filiale Reife zu erreichen, sollten wir laut Anne Otto zunächst das Tabuthema Alter an uns heranlassen. Anerkennen, dass sich die Lebenswelt unserer Eltern von der unseren unterscheidet. Und lernen, einen Schritt auf ihre Themen zuzugehen. Auch sei es wichtig, sie nicht für alles verantwortlich zu machen, was in unseren Leben nicht gut gelaufen ist. Sie nicht als die Menschen zu sehen, die uns etwas schuldig bleiben. Durch solche Einsichten könnten wir die Beziehung zu ihnen neu ausrichten und ihnen auf Augenhöhe begegnen.
Leichter gesagt als getan. Trotzdem ist die Aussicht doch recht versöhnlich. Ein guter Anfang könnte ja sein, in Zukunft den einen oder anderen Triggersatz einfach mal zu überhören. Stattdessen ein paarmal kräftig durchzuatmen und zu versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen. Vielleicht gibt ihnen das den Anstoss, im Gegenzug auch uns anders zu betrachten. Einen Versuch ist es allemal wert.
Haben Sie ebenfalls einen solchen Triggersatz, den Sie ständig zu hören kriegen? Diskutieren Sie mit.
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