Solarkraftwerk auf dem ThunerseeHumbug oder der grosse Wurf?
Liefert bald ein schwimmendes Solarkraftwerk auf dem Thunersee Strom? Der Kanton macht Abklärungen. Derweil hält sich die Euphorie bei einigen Beteiligten in Grenzen.

Der Strom ist knapp. Es braucht neue Möglichkeiten, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen rasch zu verkleinern. Der Grosse Rat hat deshalb jüngst mehrere Vorstösse überwiesen, die dem Problem entgegenwirken sollen. In einer Motion fordert beispielsweise eine Gruppe um Beat Kohler (Grüne) den Regierungsrat auf, ein befristetes Solarkraftwerk auf dem Thunersee zu ermöglichen.
Laut den Motionären wäre eine 2,5 Quadratkilometer grosse Anlage mit einer Nennleistung von 500 Megawatt realisierbar. Das entspricht rund einem Drittel der Leistung der KWO-Turbinen. Die schwimmenden Solaranlagen sollen helfen, die aktuelle Mangellage zu überbrücken. Geht es nach den Plänen der Motionäre, wird das Kraftwerk nach rund 30 Jahren zurückgebaut – und zwar «leicht, rasch und ohne bleibende Spuren in der Landschaft». Die Module sollen danach bis zum Ende der Lebensdauer an einem anderen Ort weiterverwendet werden.
Platz für Kursschiffe
Von der Motion hat Claude Merlach, Leiter der BLS-Schifffahrt, gehört, sagt aber auch, dass er bis jetzt noch nicht persönlich kontaktiert worden sei. «Wir stehen allen Massnahmen, welche die Nachhaltigkeit und die sichere Energieversorgung unterstützen, grundsätzlich offen gegenüber, auch wenn sich in einer allfälligen Umsetzung noch viele Fragen stellen würden.»
Er kenne die Details des Projektes nicht, so Merlach. Daher sei eine Beurteilung aus Distanz sehr schwierig. Er sagt aber: «Die Fläche der Anlage ist sehr gross.» Entscheidend seien jedoch Lage und Form des Kraftwerks. «Die Anlage müsste so platziert sein, dass die Kursschifffahrt nicht tangiert wird.»
«Ein solches Kraftwerk könnte durchaus auch touristisches Anziehungspotenzial haben und die Region bezüglich Nachhaltigkeit positiv positionieren.»
Die Schiffe müssen gemäss gesetzlichen Vorgaben in einem Abstand von 300 Metern zum Seeufer verkehren – ausser bei den Anfahrten an die Ländten. «Die Anlage müsste zudem auch bezüglich Wellenschlag so ausgestaltet sein, dass sie die Wellen der grossen Kursschiffe absorbieren kann», sagt Merlach.
«Ein solches Kraftwerk könnte durchaus auch touristisches Anziehungspotenzial haben und die Region bezüglich Nachhaltigkeit positiv positionieren», führt Merlach aus, der aber davon ausgeht, «dass sich wohl auch viele daran stören würden».
«Nicht durchdacht»
Der Idee nichts abgewinnen kann Raimund Rodewald. Der Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz findet den Vorschlag «nicht durchdacht». Es gebe viel Potenzial für Fotovoltaikanlagen, zum Beispiel an Fassaden, an Lärmschutzwänden oder auf grossen Parkplätzen. «Es ist deshalb unsinnig, die grössten unverbauten Flächen, welche die Schweiz noch hat, in Beschlag zu nehmen.»
Die Schweizer Seen sind laut Rodewald ein wichtiges Erholungsgebiet, aber auch touristische Vorzeigeobjekte – vergleichbar mit den Gletschern. Ein Kraftwerk auf einem See würde zudem den Lebensraum von Tieren empfindlich stören und letztlich auch gefährden.
«Für uns ist es aber ein grosser Unterschied, ob es sich um einen natürlichen oder einen künstlichen See handelt.»
Rodewald führt weitere Gründe an, die gegen ein solches Projekt sprechen. «Solarkraftwerke auf einem See schwimmen nicht einfach so. Sie müssen verankert und vor allem erschlossen werden. Dazu braucht es Bauten am Ufer, einem Premium-Gebiet der Erholung.» Er sehe «absolut keine Bedingungen», unter welchen die Stiftung Landschaftsschutz ein derartiges Vorhaben unterstützen würde. «Aufgrund von vielen Rückmeldungen gehe ich davon aus, dass die Akzeptanz in weiten Teilen der Bevölkerung ebenfalls nicht da ist», so Rodewald.
Er sagt aber auch, dass die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz sich nicht grundsätzlich gegen schwimmende Solarkraftwerke wehrt. «Für uns ist es jedoch ein grosser Unterschied, ob es sich um einen natürlichen oder einen künstlichen See handelt.» So habe man ein Pilotprojekt auf dem Walliser Stausee Lac des Toules unterstützt. Dort wird seit 2019 Strom geliefert. Er sehe deshalb nicht ein, wieso auf dem Thunersee nun ein weiteres Pilotprojekt umgesetzt werden solle, so Rodewald.
«Gedanke ist prüfenswert»
Wie sieht es auf der Seite des Tourismus aus? Könnte noch mit der Natur um Gäste geworben werden, wenn ein grosser Teil des Thunersees von einem Solarkraftwerk bedeckt würde? «Die Solaroffensive des Kantons ist aus Sicht des Tourismus zu begrüssen», sagt Daniel Sulzer, Direktor der Tourismusorganisation Interlaken (TOI), welche den Thunersee touristisch vermarktet. «Wenn ein schwimmendes Solarkraftwerk die bisherigen touristischen Erlebnisse unserer Gäste auf dem Thunersee nicht schmälert, ist der Gedanke prüfenswert», sagt Sulzer.
Er betont aber auch: «Dimension, Lage und Erscheinung der Anlage dürften massgeblich die Wahrnehmung und entsprechend die Einstellung bei den Gästen dazu beeinflussen.» Der Thunersee gehöre zum Gesamtpaket der Naturerlebnisse in der Ferienregion Interlaken. Ein Solarkraftwerk würde sicherlich eine gewisse Einschränkung der Möglichkeiten für die Gäste mitbringen und insofern die touristische Vermarktung des Thunersees erschweren, fügt Sulzer an.
«Wenn das Landschaftsbild durch ein Solarkraftwerk nachhaltig geprägt wird und so die Naturschönheiten überdeckt werden, geht der Reiz des tiefblauen Thunersees verloren.»
Wäre es möglich, den Thunersee explizit mit einem Solarkraftwerk künftig zu vermarkten? «Aus Sicht der Vermarktungsorganisation TOI ist höchstens vorstellbar, dass ein Spezialinteresse besteht – vor allem, da ein solches Projekt Vorbildcharakter haben könnte. Denkbar sind dann zum Beispiel Besichtigungen und Führungen per Schiff», so Daniel Sulzer weiter.
Er sieht aber auch Gefahren: «Wenn das Landschaftsbild durch ein Solarkraftwerk nachhaltig geprägt wird und so die Naturschönheiten überdeckt werden, geht der Reiz des tiefblauen Thunersees verloren. Hier geht es aus unserer Sicht um eine geeignete Einbettung in das Natur- und Landschaftsbild.»
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