Horgen will das Fernwärmenetz behalten - aber nicht um jeden Preis
Die Horgner KVA soll 2018 geschlossen werden. Damit verknüpft ist das Fernwärmenetz. Werkvorstand Theo Leuthold brütet darüber, wie es weitergehen könnte.
Horgen/Bezirk. - Noch ist es ein Kommen und Gehen auf dem Abladeplatz der Horgner Kehrichtverbrennungsanlage (KVA): Lastwagen mit Zuger und Zürcher Nummernschildern kippen ihre Fracht in Schlunde, die zum Abfallbunker führen. Gewerbler deponieren ihren Bauschutt, und Private bringen gleich anhängerweise Sperrgut zur Entsorgung. Dieses rege Treiben wird aber spätestens 2018 ein Ende haben, denn dann soll in Horgen kein Haushaltmüll mehr verbrannt werden (der TA berichtete).
2018 ist nämlich die erwartete Lebensdauer von 25 Jahren der Anlage abgelaufen. Eine Erneuerung würde mindestens 70 Millionen Franken kosten, wie Horgens Gemeinderat und Werkvorsteher Theo Leuthold (SVP) sagt. Leuthold ist auch Präsident des Zweckverbands für Abfallverwertung im Bezirk Horgen, dem die KVA gehört, und Präsident des Lenkungsausschusses des Zürcher Abfallverwertungs-Verbunds (ZAV).
Horgen ist zu klein
Dieser kantonale Verbund vereint alle Kehrichtheizkraftwerke und KVAs in Zürich und sorgt dafür, dass alle Anlagen optimal ausgelastet sind. Das Ziel dieses Verbunds: Er muss die Überkapazität im Kanton Zürich reduzieren. Alle KVAs zusammen können pro Jahr 850 000 Tonnen Abfall verbrennen. Im Kanton Zürich fallen - je nach Berechnungsweise - zwischen 550 000 und 650 000 Tonnen an. Die zusätzlichen 200 000 bis 300 000 Tonnen müssen aus anderen Regionen zugeführt werden. Um solchen Vertragsabfall zu erhalten, müssen die KVAs tiefe Preise anbieten, denn die Konkurrenz unter den Abfallverwertern ist gross. Und die Anlagen müssen ausgelastet sein, um möglichst attraktive Preise bieten zu können. Ein Grossteil dieses Vertragsabfalls im Kanton kommt aus dem süddeutschen Raum; in Horgen wird aber auch Abfall aus Uri, Zug und dem Bündner Münstertal verbrannt.
Weil Horgen mit seiner Kapazität von 60 000 Tonnen die kleinste KVA im Kanton ist, plant der ZAV, diese Anlage zu schliessen. Im Rahmen dieser Reduktion der Überkapazität soll auch die KVA an der Zürcher Josefstrasse geschlossen werden.
Die Schliessung würde die Gemeinde Horgen vor ein Problem stellen: Die KVA speist ein Fernwärmenetz, das 2200 Horgner Haushalte heizt und mit Warmwasser versorgt. «Wir sind natürlich daran interessiert, dieses Netz aufrechtzuerhalten», sagt Leuthold in seiner Funktion als Horgner Werkvorstand. In seiner Funktion als Präsident der Zweckverbandes des Bezirks sagt er dagegen: «Der Zweckverband interessiert sich nicht für das Fernwärmenetz. Er ist dafür verantwortlich, dass der Siedlungsabfall möglichst effizient entsorgt wird.»
Das Horgner Fernwärmenetz hat noch eine Lebensdauer von 40 Jahren. Deshalb suchen derzeit mehrere Arbeitsgruppen fieberhaft nach einer Folgelösung für die KVA. Bis 2012 müssen die grundsätzlichen Entscheide gefällt sein, weil spätestens dann die Lieferverträge des Fernwärmenetzes gekündigt werden müssten. Im November werden erste Resultate erwartet. Folgende Varianten sind im Gespräch:
Biomasse-Kraftwerk: Aus der KVA wird ein Biomasse-Kraftwerk, das mit Altholz befeuert wird. Die gewonnene Energie wird ins lokale Stromnetz eingespeist; die Abwärme würde das Fernwärmenetz betreiben. Ein grosses Energieunternehmen übernimmt die Anlage. «Diese Variante wäre aus meiner Sicht ideal», sagt Leuthold. «Nicht zuletzt, weil Holz klimaneutral ist.» Bedingung ist aber, dass sich ein Energiekonzern für Horgen interessiert. Die grösste Schwierigkeit wäre, genügend Holz für den Betrieb zu sichern.
Erdwärme-Kraftwerk: Das Fernwärmenetz wird mit Erdwärme gespeist. «Diese Variante wäre am besten verträglich für die Umwelt», sagt Leuthold. Der Nachteil sei, dass nur schon die Entwicklung und Sondierung sehr teuer wären. Eine Sondierbohrung kann zweistellige Millionenbeträge kosten. «Zudem braucht der Betrieb ziemlich viel Energie.» Bei einer Bohrung für ein Erwärme-Kraftwerk in Basel wurde zudem Ende 2006 ein Erdbeben verursacht, was bei der Bevölkerung Unbehagen ausgelöst hat. «Die Horgner müssen sich aber keine Sorgen machen», sagt Leuthold. «Wir würden eine andere Technologie als die Basler verwenden.»
Erdgasheizung: Das Fernwärmenetz wird mit einer Erdgasheizung betrieben, Strom wird nicht erzeugt. Dies ist laut Leuthold die einfachste und billigste Variante. Die entscheidende Frage dabei ist, ob eine Erdgas-Fernwärmeheizung ökologisch sinnvoller wäre, als wenn jedes Haus einzeln geheizt würde. «Wir sind dabei, dies zu prüfen», sagt Leuthold.
Autoschrott-Verbrennung: Die Anlage der KVA wird dafür genutzt, brennbaren Autoschrott zu verwerten und damit das Fernwärmenetz zu betreiben. Die Kapazität von Horgen würde ausreichen, den gesamten Autoschrott der Schweiz zu verwerten. «Wir würden ein nationales Kompetenzzentrum», sagt Leuthold. Der Nachteil: «Die Stoffe im Autoschrott sind zum Teil stark schadstoffhaltig und kompliziert zu verwerten.»
Klärschlamm-Verbrennung: Bereits heute werden in Horgen die gefilterten Feststoffe aus Fäkalien der regionalen Abwasserreinigungsanlagen verbrannt. Solcher Klärschlamm könnte aus anderen Regionen übernommen werden. Diese Variante wurde bereits vor längerer Zeit ins Spiel gebracht, sei aber eigentlich vom Tisch, sagt Leuthold. In Zürich ist eine zentrale Verbrennung geplant, um das im Klärschlamm enthaltene Phosphor zurückzugewinnen.
Weiterhin Abfall verbrennen: Die Gemeinde Horgen würde die KVA vom Zweckverband für Abfallverwertung im Bezirk Horgen übernehmen und auf eigene Rechnung betreiben. «Die Kosten wären für Horgen enorm», sagt Leuthold. «Zudem kann die kleine Horgner KVA kaum mit den Preisen auf dem internationalen Markt mithalten.» Die Kosten für die Fernwärmebezüger würden enorm steigen. Leuthold hält dies für die schlechteste Variante.
Ganz abschalten: «Die Chancen, dass es uns gelingt, das Fernwärmenetz aufrechtzuerhalten, stehen zwar über 50 Prozent», sagt Leuthold. Das Netz abzuschalten, sei aber noch immer eine Option. «Wir wollen das Fernwärmenetz nicht um jeden Preis erhalten», sagt Leuthold. «Eine Nachfolgelösung muss ökologisch und ökonomisch sinnvoll sein.» Die Kosten werden den entscheidenden Faktor ausmachen. «Es ist nämlich schwer zu rechtfertigen, Steuergelder dafür auszugeben, dass ein paar Horgner Haushalte weiterhin Fernwärme haben», sagt Leuthold.
Leuthold sagt selber: «Die Abfallwirtschaft ist ein extrem kompliziertes Fach, denn sie bildet eine Schnittstelle zwischen Abfallverwertung und Energiewirtschaft.» Zu schaffen macht ihm, dass bei der Abfallverwertung Subventionen gestrichen wurden, während auf dem Energiemarkt neue eingeführt wurden. «Eine unüberschaubare Vielzahl von Anreizsystemen verhindert eine genaue Prognose. Zudem schwanken Weltmarktpreise für Abfall, Energie und Rohstoffe und sind schwierig zu prognostizieren», sagt Leuthold. «Es gibt kaum eine Person, die das System in allen Facetten durchschaut. In dieser Hinsicht geht es uns wie der Finanzindustrie.»
Theo Leuthold hat die Kontrolle: Über den Abfallgreifer und über die KVA.
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