Komplementärmedizin unter DruckHomöopathie und Co. gehen die Medikamente aus
Obwohl Komplementärmedizin von der Grundversicherung bezahlt wird, gibt es immer weniger kassenpflichtige Präparate. Ärzte warnen vor einer Zweiklassenmedizin.

Der Liestaler Hausarzt Andreas Arendt fühlt sich in seinen Therapiemöglichkeiten zunehmend eingeschränkt. Er praktiziert vor allem anthroposophische Medizin und stellt fest, dass die komplementärmedizinischen Arzneimittelhersteller ihr kassenpflichtiges Sortiment immer mehr ausdünnen. «Ich schätze, dass von rund 2000 anthroposophischen Präparaten in den letzten zehn Jahren rund ein Drittel von der Spezialitätenliste verschwunden ist», sagt Arendt. Die Spezialitätenliste enthält jene Medikamente, die von der Grundversicherung bezahlt werden.
Als Beispiel nennt Arendt Augentropfen sowie homöopathische und anthroposophische Medikamente in Pulverform, welche die Firma Weleda von der Spezialiätenliste genommen hat. Die Pulver werden für verschiedenste Behandlungen angewendet und kosten je nach Potenzierung zwischen 20 und 40 Franken. Nicht alle Patienten könnten die anthroposophischen Arzneimittel selbst bezahlen, und nicht alle hätten eine Zusatzversicherung, sagt Arendt. Deshalb könne er immer öfter den Patienten nicht mehr das optimale Präparat verschreiben, sondern müsse auf das zweitbeste ausweichen oder gar ein konventionelles Medikament verschreiben.
Weleda begründet den Rückzug damit, dass die behördlich vorgegebenen Preise die gestiegenen Kosten für Herstellung, Rohstoffe und Vertrieb schon länger nicht mehr deckten. Gerade für die sterilen Augentropfen seien die Anforderungen sehr hoch. Die Preise für Komplementärmedizin auf der Spezialitätenliste seien seit 2008 nicht mehr angepasst worden. Im letzten Jahr habe sich Weleda deshalb entschieden, die Augentropfen von dieser Liste zu nehmen. Nur wenn das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Herstellern kostendeckende Preise gewähre, könne die freie Therapiewahl in der Grundversicherung gewährleistet und eine Zweiklassenmedizin verhindert werden.
«Kommerziell wird diese Strategie für die Hersteller langfristig nicht aufgehen.»
Auch Gisela Etter, Präsidentin der Union komplementärmedizinischer Ärzteorganisationen, zeigt sich besorgt. Sie praktiziert als homöopathisch ausgerichtete Hausärztin in Richterswil. Einzelne Präparate könne sie nicht mehr zulasten der Grundversicherung verschreiben, beispielsweise pflanzliche Augentropfen bei Heuschnupfen oder sogenannte gemmotherapeutische Arzneimittel, die aus Pflanzenknospen hergestellt werden. Zwar stellt Etter in ihrer Arbeit noch keinen schwerwiegenden Rückgang der Medikamentenpalette fest. Dies führt sie jedoch darauf zurück, dass im Bereich der Homöopathie und der anthroposophischen Medizin einige Hersteller die kassenpflichtigen Präparate bis jetzt noch quersubventionieren. «Kommerziell wird diese Strategie für die Hersteller aber langfristig nicht aufgehen», sagt Etter.
Hersteller machen geltend, dass es immer schwieriger wird, die Komplementär- und Phytoarzneimittel in der Spezialitätenliste zu halten. Seit der letzten Preiserhöhung von 2008 seien die Anforderungen an die Produktion gestiegen, es brauche mehr Personal, und die Preise der Rohstoffe hätten sich erhöht. Die Einsparmöglichkeiten seien hingegen gering, weil viele Rohstoffe in kleinen und sogar kleinsten Mengen verarbeitet würden.
Passe das BAG die Preise für komplementärmedizinische Arzneimittel nicht den gestiegenen Herstellungskosten an, würden diese Medikamente in einem Graumarkt angeboten, in dem die Qualität nicht mehr ausreichend kontrolliert werde, warnt Etter. Den Preis hätten die Patientinnen und Patienten zu bezahlen. Der behördliche Druck auf die Medikamentenkosten dürfe nicht im Segment der Komplementärmedizin ausgeübt werden, wo die Preise bereits tief seien. «Die ärztliche Komplementärmedizin ist eine effiziente und kostengünstige Grundversorgung, die unbedingt gefördert werden muss.» Dies entspreche dem Willen der Bevölkerung, die 2009 in einer Volksabstimmung für die Komplementärmedizin in der Grundversicherung gestimmt habe.
Bundesrat sieht keine Probleme
Der Bundesrat sieht bei der Versorgung mit Arzneien hingegen keine Probleme. Auf der Spezialitätenliste seien rund 10’000 Positionen mit komplementärmedizinischen Arzneimitteln aufgeführt, hält er in der Antwort auf einen Vorstoss der grünen Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber fest. «Es existiert ein sehr grosses Sortiment komplementärmedizinischer Arzneimittel, das nach wie vor sehr breit von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet wird.» Preiserhöhungen könnten zwar in Ausnahmefällen gewährt werden, aber nur wenn therapeutische Alternativen fehlten. Eine Sonderbehandlung der Komplementärmedizin gegenüber anderen Medikamenten könne es nicht geben.
Der Verband für komplementärmedizinische Heilmittel (SVKH) hält die Antwort des Bundesrats für fadenscheinig. Der Eindruck der breiten Palette täusche, sagt SVKH-Sprecher Walter Stüdeli. Im Unterschied zu chemischen Medikamenten seien bei der Komplementärmedizin keine Endprodukte auf der Spezialitätenliste aufgeführt, sondern alle Potenzierungen und Darreichungsformen. Aus der Zahl 10’000 lasse sich nicht ableiten, wie viele Arzneimittel effektiv noch von den Kassen vergütet würden.
«Die Antwort des Bundesrats zeigt, dass ihm Komplementärarzneimittel letztlich egal sind und dass er primär Kosten sparen will», sagt Stüdeli. Als Beleg für den Rückgang der Komplementär- und Phytoarzneimittel dient dem Verband die stark sinkende Zahl der bei der Arzneimittelbehörde zugelassenen Präparate. Bei den pflanzlichen Heilmitteln mit Indikation habe der Rückgang im letzten Jahr 14,5 Prozent betragen, in den letzten zehn Jahren gar über 40 Prozent.
Markus Brotschi ist Bundeshausredaktor von Tamedia, Schwerpunkt seiner Berichterstattung ist die Sozial- und Gesundheitspolitik. Er arbeitet seit 1994 als Journalist und Redaktor.
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