Hommage an den grossen Opa
Ein Familienstreit kostete Sophie Lacoste die Modefirma mit dem Krokodil. Sie kaufte eine Sportmarke und begann ein neues, besseres Unternehmerinnenleben.

Es ist ein Familienritual. «Jedes Mal, wenn ich mit meinen Kindern bei einer Lacoste-Boutique vorbeikomme, halte ich vor dem Foto meines Grossvaters inne, das in jedem Laden hängt», erzählt Sophie Lacoste. «Die Kinder sagen ihrem Uropa dann Bonjour!» Sophie Lacoste will, dass ihre Kinder, elf und acht Jahre alt, ihrem verstorbenen Urgrossvater René Lacoste, dem Firmengründer und einstigen Tennisstar der 1920er-Jahre, die Ehre erweisen.
Manchmal kauft sie den Kindern auch ein Poloshirt mit dem berühmten Krokodil. Die Marke ist ihr Name, ihr Name ist die Marke. Trotzdem muss Sophie Lacoste den normalen Ladenpreis zahlen. Das hat damit zu tun, dass sich die Familie vor ein paar Jahren des grossen René Lacoste nicht sehr würdig gezeigt hat. So sieht sie das.
Sophie Lacoste sitzt in ihrem Showroom in einem Hinterhof in Paris, einem Ort, an dem sie Geschäftspartnern neue Kollektionen präsentiert. Auf den Regalen liegen keine Hemden von Lacoste, sondern Skiklamotten der Marke Fusalp. Eine Damenjacke für 1600 Euro etwa. Eine Bommelmütze für 150 Euro. Zusammen mit ihrem Bruder Philippe und weiteren Verwandten hat Sophie Lacoste das kleine, feine, französische Label vor sechs Jahren gekauft – nach dem Familiendebakel um die Krokodil-Marke. Fusalp ist jetzt ihr Ding.
Geschichte einer Selbstbefreiung
«Es geht mir nicht um Revanche», sagt sie. Sophie Lacoste, 42 Jahre, gross, blond, spricht die Dinge kühl an, ohne Umschweife. «Revanche», das bezieht sich auf ihren Vater Michel, der Lacoste 2012 lieber verkaufte, als der eigenen Tochter die Führung des Milliardenunternehmens anzuvertrauen. Nein, keine Revanche. Aber dank Fusalp kann es Sophie Lacoste dennoch allen zeigen. Es ist die Chance, sich des grossen René Lacoste doch noch würdig zu erweisen. Die Unternehmerehre der Familie, die sie ihren Kindern vermitteln will, wiederherzustellen. Auf ihre Art.
Sophie Lacostes Geschichte ist die einer Selbstbefreiung. Die Geschichte einer Frau, die ihren eigenen Weg gehen muss, um ihrer Familie und ihrem Erbe gerecht zu werden – und später selbst etwas weiterzugeben. Mehr als eine Firma oder ein Vermögen. Eine Haltung zum Leben vor allem, zum Unternehmerleben.
Sie sagt: «Fusalp ist das Ergebnis unseres Scheiterns mit Lacoste.» Thomas Mann hätte sich dieses spektakuläre Scheitern einer stolzen Kaufmannsdynastie nicht lebhafter ausdenken können.
Wer bei der Kabale um den Verkauf der Krokodil-Marke gut war und wer böse, Tochter oder Vater, lässt sich nicht so genau ausmachen. Fest steht: Vater Michel, Renés Sohn, war schon lange mit seinen Kindern aus erster Ehe zerstritten, zu denen Sophie zählt. Im Herbst 2012 putschte sie ihn mithilfe anderer Clanmitglieder von der Spitze des Verwaltungsrats, den er seit 2005 lenkte. Es sei ihr darum gegangen, ein zunehmend schlecht geführtes Unternehmen zu bewahren, beteuert sie.
Der Vater aber hielt seine Tochter, die sich bis dahin als Schauspielerin und als Leiterin eines Marionettentheaters betätigt hatte, schlicht für unfähig. «Sie hat nicht die Kompetenz, eine Firma zu führen», ätzte er. Seine Rache war prompt und unerbittlich: Zusammen mit Verbündeten aus der Familie verkaufte Michel Lacoste seine Anteile an die Schweizer Investorenfamilie Maus, die schon ein Aktienpaket besass und nun die Mehrheit an Lacoste errang. Der Tochter blieb nichts, als bei einer Pressekonferenz unter Tränen ihre Niederlage einzugestehen. Da wirkte sie nicht mehr so kühl.
«Ich trage Verantwortung dafür, dass wir uns in der Familie nicht verständigen konnten. Ich habe mein Ziel verfehlt.»
«Manchmal quält mich noch das Gefühl, betrogen worden zu sein», sagt sie heute. «Aber ich komme damit zurecht.» Lacoste gesteht ein, dass sie am Scheitern mitschuldig ist. «Ich trage Verantwortung dafür, dass wir uns in der Familie nicht verständigen konnten. Ich habe mein Ziel verfehlt.» Drei Tage lang habe sie geweint, erzählt sie. Auch wenn sie weich fiel. Die Lacoste-Anteile, die sie nolens volens verkaufte, brachten mehrere Hundert Millionen Euro ein.
Sophie Lacoste hätte den Rest ihres Lebens Golf spielen können. Sie besann sich aber lieber auf den Unternehmer- und Sportsgeist des geliebten Grossvaters René. Als Kind hatte sie viel Zeit mit ihm in der Firma verbracht. Da war es schon lange her, dass er als Tennisspieler, Spitzname Le Crocodile, mehrfach den Davis-Cup und die French Open gewonnen hatte.
Sportsgeist also. Die Niederlage annehmen. Wieder aufstehen. Weitermachen. Besser machen. Scheitern als Chance.
Sophie Lacoste und ihr Bruder Philippe halten 2013 Ausschau nach Lifestylemarken, die sie mit dem Erlös des Verkaufs übernehmen könnten. Sie stossen auf Fusalp. Die kleine Marke aus den französischen Alpen hat eine glorreiche Vergangenheit, weil sie in den Fünfzigern den Rennanzug erfand und später Skihelden wie Jean-Claude Killy ausrüstete. Aber sie glänzt nicht mehr. Für die Lacoste-Geschwister genau das Richtige: eine Sportmarke wie Lacoste. Doch eine, die sie neu aufbauen können, an der sie sich beweisen können.
In Konkurrenz zum Vater
Als Erstes geben sie Fusalp einen körperbetonten Stil zurück und positionieren die Marke um, von der mittleren Preiskategorie in die Premiumklasse. Den Sportfachhandel geben die Lacostes auf, dafür vertreiben sie Fusalp in eigenen Boutiquen, von Paris bis Oslo, von Lech bis Aspen.
Und siehe da: Sophie Lacoste hat als Unternehmerin Erfolg. Der Fusalp-Jahresumsatz ist seit der Übernahme von 6 auf 30 Millionen Euro gestiegen, die Zahl der Mitarbeiter von 40 auf 150. Lacoste zufolge schreibt Fusalp wieder Gewinn. Das nächste Ziel ist, auch als urbanes Modelabel Fuss zu fassen, und als Sommerausstatter – in Konkurrenz zu Lacoste.
Geld ist ein Werkzeug. Es mit jungen Talenten zu teilen, verleiht ihm Sinn.»
«Unser Ehrgeiz ist, Fusalp zur globalen Marke zu machen», sagt Sophie Lacoste. Natürlich soll Fusalp, das den gallischen Hahn im Logo führt, dabei als französischer Chic wahrgenommen werden. Auch wenn die teure Skimode gar nicht in Frankreich, sondern in Billiglohnländern wie China produziert wird. In Frankreich, so rechtfertigt sich Sophie Lacoste, sei die nötige Handfertigkeit in der Textilverarbeitung nicht mehr zu finden.
Offiziell sitzt sie nur im Fusalp-Verwaltungsrat. Für das Tagesgeschäft haben sie und ihr Bruder einen früheren Lacoste-Manager angeheuert. Trotzdem ist Sophie Lacoste im Unternehmen sehr aktiv: «Ich mache ein bisschen von allem», sagt sie. Strategie, Kommunikation, internationale Expansion. Was sie nicht mehr macht: Theater spielen. Der Vater hatte sich böse über ihre grosse Leidenschaft mokiert. Sie geht dafür viel ins Theater, als Zuschauerin, mindestens zweimal die Woche. Und: Sie hat einen Fonds eingerichtet, mit dem sie Nachwuchsschauspieler und Sportler fördert.
Lacoste sagt: «Geld macht nicht glücklich.» Sie muss es wissen. «Geld ist ein Werkzeug. Es mit jungen Talenten zu teilen, verleiht ihm einen Sinn.» Auf diese Weise, sagt sie, gibt sie schon etwas weiter an die nächste Generation. Den Förderfonds hat sie Porosus genannt, nach einer Krokodilspezies. Das Reptil wird sie wohl nie ganz loslassen.
Der Unterschied zwischen Familienfirma und Familie
Aufstieg und Fall der Lacostes sind ein Lehrbeispiel dafür, wie unheilvoll es sein kann, wenn Familie und Firma eins sind, wenn Wohl und Wehe der Familie ganz am Unternehmen hängen – und umgekehrt. Trotz des Traumas um den Zwangsverkauf hat Sophie Lacoste auch ihr eigenes Unternehmen wieder zur Familienangelegenheit gemacht. Hat sie denn nichts gelernt?
Sie sei, entgegnet sie, manchen ihrer Geschwister und Cousins, die mit ihr in Fusalp investiert haben, heute noch näher als vor dem Lacoste-Debakel. «In diesem Team gibt es nicht die Intrigen und Machtspiele, die wir zuvor erlebt haben. Das tut gut.» Manchmal ertappt sie sich sogar bei dem Gedanken, dass der Verlust des grossväterlichen Unternehmens sein Gutes hatte. «Warum soll man etwas bewahren, das uns unglücklich gemacht hat?»
Genau das ist es, was sie aus dem Trauma gelernt hat: Ein Unternehmen an ihre eigenen Kinder weiterzugeben, ist für sie kein Lebensziel mehr. Sie unterscheide jetzt zwischen Familienunternehmen und Familie. «Ich wünsche mir, dass meine Kinder das Glück haben, die Firma von innen zu erleben, wie ich das als Kind erlebt hatte. Aber wenn es eines Tages Sinn ergibt, das Unternehmen zu verkaufen, werde ich mich diesmal nicht daran festketten», sagt sie. «Viel wichtiger ist, den Kindern Unternehmergeist weiterzugeben.» Darum geht es.
Zu ihrem Vater hat Sophie Lacoste seit dem Bruch im Jahr 2012 keinen Kontakt mehr. Dennoch respektiere sie ihn. Sie hat sich befreit. Sie ist ihren Weg gegangen – und dem Erbe ihres Grossvaters gerecht geworden. Ihr Glück heisst Fusalp. Das ihrer beiden Kinder kann – und darf – anders heissen.
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