Hochwasser legt Zugverkehr um Berlin lahm
Deutschland kämpft mit den Folgen des Jahrhunderthochwassers: Im Zugverkehr kommt es wegen eines Dammbruchs zu massiven Verspätungen. In Ostdeutschland droht nun gar eine Rezession.
Die ostdeutsche Wirtschaft droht wegen des Jahrhunderthochwassers in der Rezession zu verharren. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte von April bis Juni um 0,2 Prozent und damit das fünfte Quartal in Folge schrumpfen, wie das zum Beraterkreis der Bundesregierung gehörende Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) heute voraussagte.
«Ohne Dauerregen und Hochwasser würde es zu einer schwarzen Null reichen», sagte IWH-Experte Udo Ludwig. Die Naturkatastrophe beeinträchtige Landwirtschaft, Industrie und Baugewerbe, aber auch Handel, Gast- und Verkehrsgewerbe in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Grosse Verspätungen im Bahnverkehr
Während der Elbepegel in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt Magdeburg schneller als erwartet gesunken ist, spitzte sich heute weiter nördlich die Lage nach einem Deichbruch im Landkreis Stendal zu. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte am Montagnachmittag die brandenburgische Stadt Wittenberge besuchen, um sich dort ein Bild von der Lage zu machen. In Sachsen-Anhalt brach in der Nacht zum Montag bei Fischbeck im Landkreis Stendal ein Elbedeich auf einer Länge von 50 Metern. Weite Teile wurden überflutet. «Insgesamt wurden rund 2500 Menschen aus Fischbeck und neun anderen Orten evakuiert», sagte ein Sprecher des Katastrophenstabs in Stendal. Weiter nördlich kämpften die Einsatzkräfte in Hohengöhren um die Rettung eines Deichs, nachdem dieser zum Teil abgerutscht war.
Wegen des Deichbruchs kommt es zu erheblichen Behinderungen im Zugverkehr (siehe Video). Weil eine Bahnbrücke gesperrt werden musste, wurde der ICE-Verkehr auf der Strecke Hannover–Berlin und Berlin–Frankfurt am Main unterbrochen, wie die Deutsche Bahn mitteilte. Es komme zu grossen Verspätungen von bis zu drei Stunden. Der ICE auf der Strecke Berlin–Leipzig–München fährt dagegen wieder planmässig.
Im Kampf gegen die Flut haben sogar Gefängnisinsassen in Sachsen-Anhalt eine Sonderschicht eingelegt. 43 Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Burg nähten gestern bis in die Abendstunden 5100 Sandsäcke, wie das Justizministerium heute in Magdeburg mitteilte.
Hochwassertour von Merkel
Auch im brandenburgischen Wittenberge kämpfen die Menschen seit Tagen gegen das Hochwasser der Elbe. Am Samstag waren die Bewohner einiger Stadtteile zum Verlassen ihrer Wohnungen aufgerufen worden. Merkel wollte nach Angaben ihres Sprechers am Nachmittag nach Wittenberge fahren, um dort einen Eindruck von der Lage zu gewinnen. Begleitet wird sie von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). In der vergangenen Woche hatte Merkel bereits Hochwasserregionen in Bayern, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt besucht.
In Magdeburg stand der Elbepegel heute Vormittag bei 7,12 Metern, nachdem er gestern eine historische Höchstmarke von 7,46 Meter erreicht hatte. «Das Hochwasser geht schneller zurück als erwartet», sagte eine Sprecherin der Hochwasservorhersagezentrale in Magdeburg.
Bruchgefahr bei Deichen
Die Deiche und Sandsackwälle sind aber auch in den kommenden Tagen noch einer hohen Belastung ausgesetzt. «Es gibt ein leichtes Aufatmen, aber noch keine Entspannung», sagte deshalb Klaus Puchta von der Stadtverwaltung. Der Pegel vom Wochenende lag mehr als 70 Zentimeter über dem des Jahrhunderthochwassers von 2002. Wegen drohender Überflutungsgefahr waren insgesamt mehr als 23'000 Menschen in Magdeburg zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert worden. Die Räumung der ostelbischen Gebiete wurde laut Stadtverwaltung am Montag fortgesetzt.
Auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein steigen die Elbepegel weiter. Betroffen sind vor allem Lauenburg in Schleswig-Holstein sowie Hitzacker und Lüneburg in Niedersachsen.
In Bayern muss unterdessen wegen neuer Niederschläge mit einem Wiederanstieg der Pegel im Donaugebiet gerechnet werden, wie das Landesamt für Umwelt am Montag mitteilte. Pegelstände wie in den vergangenen Tagen seien aber vorerst nicht zu erwarten. Vor allem der Landkreis Deggendorf, aber auch Passau waren vom Hochwasser besonders betroffen.
Vorausgegangen war eine Anfrage des Krisenstabs, die in der Schneiderei der Haftanstalt umgehend erfüllt wurde.«Die Sandsäcke sind noch am Sonntag an die Feuerwehr in Burg ausgeliefert und sofort verwendet worden», erklärte Justizministerin Angela Kolb.
Derzeit würden andere Aufträge der Schneiderei zurückgestellt, um weitere Sandsäcke zu produzieren. Die Strafgefangenen und die Bediensteten seien mit grossem Engagement bei der Sache. «Wir machen weiter, solange wir noch Stoff haben», hiess es.
Für Deutschland insgesamt erwartet Industrie- und Handelskammertages (DIHK) dagegen ein Wachstum von 0,5 Prozent für das zweite Quartal. «Das sieht ordentlich aus, aber man hätte wegen des Nachholbedarfs vom schwachen Jahresstart mehr erwarten dürfen», sagte DIHK-Chefökonom Alexander Schumann zu Reuters.
Wegen des langen Winters war das Bruttoinlandsprodukt von Januar bis März nur um 0,1 Prozent gewachsen. «Das Hochwasser lässt die Konjunktur nicht unberührt: Betriebe können nicht produzieren, Läden nicht öffnen, Restaurants keine Gäste empfangen», sagte Schumann. «Das alles kostet im Moment Wachstum - wenn auch nicht flächendeckend für ganz Deutschland.»
Der Wiederaufbau dürfte die Wirtschaft ab der zweiten Jahreshälfte zusätzliche Impulse geben und wieder wachsen lassen. «Viele Privatleute werden Geld ausgeben müssen, um ihren Hausrat zu ersetzen», sagte IWH-Experte Ludwig. «Sie werden vor allem langlebige Güter wie Waschmaschinen und Kühlschränke kaufen, wie die Erfahrungen des Hochwassers von 2002 lehren.» Ausserdem werde der Wiederaufbau mit Hilfsgeldern unterstützt, was ebenfalls de Konjunktur stimulieren werde. Der Staat werde zudem in die Infrastruktur investieren.
AFP/ sda/ dapd/mrs
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