Hochbetrieb in der Igelstation
In der Russiker Anlaufstelle für kranke Igel sind sämtliche Plätze belegt. Die Tiere finden kein Futter mehr und sind wegen der ungewöhnlichen Witterung noch nicht bereit für den Winterschlaf.
Von Gabriela Frischknecht Russikon – Apathisch liegt der kleine Igel neben seiner Schlafhöhle. Brigitte Berger hebt ihn vorsichtig aus seinem Quartier – einer grossen, vergitterten Box, die er sich mit einem Leidensgenossen teilt. Als Brigitte Berger ihn mit beiden Händen umdreht, lässt er seinen Kopf nach hinten fallen. «Oje, du siehst aber gar nicht gut aus», sagt sie und öffnet behutsam das kleine Igelmaul. «Das Zahnfleisch ist ganz weiss», stellt sie ihre Diagnose. «Ich fürchte, er stirbt.» Brigitte Berger, die seit 14 Jahren die Russiker Igelstation betreibt, wendet sich an ihre Kollegin Käthi Graf. «Was meinst du, wollen wir ihn gleich erlösen?» Graf lässt den Lappen liegen, mit dem sie gerade eine der zahlreichen Igelboxen gereinigt hat, und eilt hinzu. Stirnrunzelnd begutachtet sie den kleinen Igel, der kaum 200 Gramm auf die Waage bringt. Sowohl Brigitte Berger als auch Käthi Graf sind Fachfrauen, wenn es um kranke, genesende oder auch sterbende Igel geht. «Wir erleben kleine Wunder» «Eigentlich kugelt er sich noch ganz schön ein», sagt Graf. Die beiden beschliessen, dem kranken Tier noch eine Chance zu geben. Brigitte Berger nimmt ihn mit an den Behandlungstisch, spritzt ihm ein Stärkungsmittel. Oft sei es zwar das Beste, ein Tier nicht lange leiden zu lassen, sagt sie. «Aber wir erleben auch immer wieder kleine Wunder.» Die Igelstation, die im September von Fehraltorf nach Russikon ins alte Schlachthäuschen umgezogen ist, hat derzeit Hochsaison. Die Igel finden kein Futter, weil sich die Insekten, Schnecken und Würmer in der Erde verkrochen haben. Gleichzeitig ist die Witterung aber zu trocken und zu warm, als dass die Igel sich schon zum Schlafen verkriechen würden. Tiere unter 700 Gramm hätten kaum Chancen, den Winter zu überleben, sagt Brigitte Berger. Sie verlieren während der kalten Jahreszeit bis zu einem Drittel ihres Körpergewichts. Das Telefon klingelt, zum wiederholten Mal. Eine Frau meldet, sie habe einen Igel gefunden. Brigitte Berger rät ihr, ihn zu wiegen und dann wieder anzurufen. Sofort geht die Arbeit weiter. Graf und Berger säubern jeden einzelnen Käfig. Seit ein paar Wochen sind alle komplett belegt. Die beiden Frauen wechseln das Wasser und stellen frisches Futter vor jedes Schlafhäuschen: Nüsse, Totenbeinli und zerdrücktes Katzenfutter. Jeder Igel wird gewogen, um sicherzugehen, dass er zunimmt. Wenn nötig erhält er Medikamente. Als die Frau am Telefon sich nochmals meldet und sich bestätigt, dass der Igel untergewichtig ist, muss Brigitte Berger sie bitten, das Tier selber in einer Kiste aufzupäppeln. «Mehr Igel, als wir hier Plätze haben, können wir schlicht und einfach nicht unterbringen», sagt Berger. Zwei Tierärzte operieren gratis Damit stösst sie jedoch nicht bei allen Anrufern auf Verständnis. «Wir werden hin und wieder angepöbelt», sagt Berger. Dabei arbeiteten sie absolut freiwillig und unentgeltlich. «Wir tun oft mehr, als wir eigentlich können – da sind unanständige Kommentare absolut frustrierend.» Anrufern, die sie fragen, ob sie das «Igelmami» sei, entgegnet sie jeweils, nein, sie habe keine Stacheln. Jeden Abend verbringen Berger und Graf einige Stunden in der Station. Unterstützt werden sie von zwei weiteren Frauen, damit sie zeitweise Entlastung haben. Eine grosse Hilfe sind auch die beiden Tierärzte Rico Hauser und Christian Spirig, die Operationen gratis vornehmen, die Tiere röntgen und Medikamente günstig abgeben. Futter, Miete, Material und Medikamente finanzieren die Frauen von der Igelstation aus Spendengeldern – vom Kanton gibt es kein Geld. Die Gemeinde Russikon komme ihnen dafür mit einer sehr tiefen Miete entgegen, sagt Brigitte Berger. Es raschelt im Schlafhäuschen. Die Spritze scheint dem todkranken Igel neues Leben eingehaucht zu haben. Er bewegt sich. «Ich werde ihn später auf die Heizdecke legen, vielleicht erholt er sich ja», sagt Berger. Verletzt, vergiftet, verwaist Die Arbeit geht ihr und Käthi Graf so schnell nicht aus, auch wenn der Winter überstanden ist. Im Frühling päppeln die beiden Frauen neugeborene Igel auf, die ihre Mutter verloren haben. Im Sommer pflegen sie Tiere, die von Rasentrimmern oder anderen Geräten verletzt wurden. Und immer wieder erlösen sie Igel von ihrem Leiden, die mit Obstspritzmitteln oder Schneckenkörnern vergiftet wurden. Die Igelstation sei immer voll, sagt Berger und ergänzt lachend: «In den letzten 14 Jahren hatten wir nur einmal einen halben Tag lang keinen Igel hier.» www.igel.ch Käthi Graf und Brigitte Berger kümmern sich seit 14 Jahren freiwillig und unentgeltlich um die Tiere, die ihnen zugetragen werden. Foto: Gabriela Frischknecht
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