Aufarbeitung der Geschichte in den NiederlandenHistorische Geste in Amsterdam
Als erste Stadt des Landes hat sich Amsterdam für die Sklaverei entschuldigt. Die Regierung ist noch nicht so weit.

Es waren historische Worte, die Femke Halsema am Donnerstag im Amsterdamer Oosterpark sprach. Die Bürgermeisterin entschuldigte sich für die Beteiligung der niederländischen Hauptstadt am Sklavenhandel. «Es ist an der Zeit, die grosse Ungerechtigkeit der kolonialen Sklaverei in die Identität unserer Stadt einzumauern – mit einer grosszügigen und bedingungslosen Anerkennung», sagte die grüne Politikerin. Amsterdam ist die erste Stadt des Landes, die diesen Schritt geht.
Eine Studie im Auftrag des Stadtrats hatte die Rolle Amsterdams im Sklavenhandel beleuchtet. Demnach amtierte die Hälfte der 139 Bürgermeister zwischen 1578 und 1795 gleichzeitig als Direktoren der westindischen (Karibik) und ostindischen (Indonesien) Handelsgesellschaften, die immens vom Geschäft mit den Sklaven profitierten.
Halsema sprach anlässlich einer Feier, mit der jährlich der Abschaffung der Sklaverei in der Kolonie Surinam am 1. Juli 1863 gedacht wird. In der Debatte werden die Begriffe genau gewogen. 2001 hatte ein Minister von «tiefem Bedauern, mit Tendenz zur Reue» gesprochen, 2013 ging Vizepremier Lodewijk Asscher mit «tiefem Bedauern und Reue» ein Schrittchen weiter. Doch erst Halsemas «Entschuldigung» ist das starke Wort, das sich Nachfahren von Sklaven erhofft haben.

Die symbolische Wirkung sei nicht zu unterschätzen, sagte Linda Nooitmeer vom Nationalen Institut für die niederländische Sklavereigeschichte. «Mit einer Entschuldigung wird die Tatsache anerkannt, dass Sklavenhandel ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war.» So werde deutlich, welches Leid der transatlantische Sklavenhandel verursacht habe – mit Folgen bis heute. Hinzu kommt, dass erst eine Entschuldigung zu möglichen Entschädigungszahlungen führen könnte. Erfahrungsgemäss verlaufen entsprechende Forderungen aber im Sand.
Auch in Rotterdam, Utrecht und Den Haag werden Entschuldigungen erwogen oder vorbereitet. Doch der niederländische Staat sieht sich dazu bisher nicht imstande. Premier Mark Rutte sagte im vergangenen Jahr, dies würde das Land «noch mehr polarisieren». Tatsächlich lehnt eine Mehrheit der Bürger laut Umfragen eine solche Geste ab.
Eine Entschuldigung fordert nun aber auch die unabhängige Kommission, die am Donnerstag den Bericht vorlegte. Der Staat müsse seine Bereitschaft ausdrücken, das «historische Unrecht» so weit wie möglich wiedergutzumachen. Das Gremium verweist auf ähnliche Gesten in Deutschland, Belgien und Frankreich. Vermutet wird nun, dass die staatliche Entschuldigung in zwei Jahren kommt.
Königskutsche mit Bild von untertänigen Schwarzen
Fragen von historischer Schuld und Wiedergutmachung treiben die Niederlande in jüngster Zeit verstärkt um – wohl auch deshalb, weil ein Teil der Vergangenheit verdrängt wurde. Für seine Verwicklung in den Holocaust hat sich das Land erst 2020 entschuldigt. Die Kolonialzeit, insbesondere die brutalen Militäraktionen in Indonesien nach der Unabhängigkeitserklärung 1945, ist noch nicht ausreichend aufgearbeitet. All dies vermischt sich manchmal unheilvoll mit aktuellen Debatten über Immigranten und Rassismus, bei der sich linke Identitätspolitiker mit rechten Nationalisten duellieren.
Beispielhaft dafür ist der jährliche Streit über den Nikolaushelfer Zwarte Piet und dessen russgeschwärztes Gesicht: Viele sehen darin Rassismus, andere eine unschuldige Tradition. Ähnlich verlief jüngst die Debatte über die goldene Kutsche, in welcher der Monarch zu Beginn des neuen Parlamentsjahrs durch Den Haag rollt. Auf dem Gefährt prangt eine Illustration mit halb nackten Schwarzen in untertäniger Position.
Linke Politiker und Aktivisten fordern deshalb, der König dürfe dieses «Symbol der Ungleichheit» nicht mehr benutzen. Der Rechtspopulist Geert Wilders warnt vor einer Vernichtung der nationalen Identität: «Sie wollen die Niederlande abschaffen.»
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