Himmel und Hölle
Sandra Rutschi erlebt Heimatgefühle, als sie vom hügeligen Emmental in die grosse Stadt zurückkehrt.
Neulich kehrte ich nach idyllischen Tagen im Emmental nach Hause in die Stadt zurück. Ich stieg aus dem zweitletzten Tram und atmete durch. Keine Hügel, keine Scheiterbeigen und Kuhglocken mehr. Sondern dunkle Hausberge mit Fensterlichtern, verheissungsvoll wie ein gigantischer Adventskalender und eingehüllt in das stetige Rauschen der Autobahn. Die Berner Bronx hatte mich wieder. Ein Gefühl von Heimat stieg in mir auf, ein bisschen zu kitschig, um ihm gleich zu vertrauen.
Ich ging am Schulhaus vorbei, während der Wind zwischen den Fassaden Fahrt aufnahm. Kein Mensch war zu sehen auf den Quartiersträsschen, auf denen tagsüber die Kinder spielen. Eine kleine Nachbarin hatte mit pinker Kreide das wohl längste Himmel-und-Hölle-Spiel auf den Weg gemalt, das ich je gesehen hatte.
Mit seinen 121 Feldern passte es bestens zu den Hochhäusern ringsum. Kurz überlegte ich, loszulegen – Hüpfen ist himmlisch für die Seele. Doch da bog ein Security-Mann mit Schäferhund um die Ecke, und ich wollte mich nicht blamieren.
Als ich bei meinem Haus um die Ecke bog, holte mich die Realität ein. Vor dem Eingang lehnten drei fremde Männer an der Wand, die Haut in unterschiedlichen Schattierungen von weiss bis dunkelbraun, wie es in meiner Nachbarschaft verbreitet ist. Kurz sehnte ich mich nach dem Security-Mann, den ich gerade noch zur Hölle gewünscht hatte. Dann umgriff ich meinen Schlüsselbund, den Pseudoschlagring für alle Fälle, setzte ein Lächeln auf und wünschte einen guten Abend, als ich an den Männern vorbeiging.
Die Herren blickten von ihren Smartphones auf, strahlten mich an und grüssten. So, wie es in der Berner Bronx um Mitternacht üblich ist. Himmel und Hölle – in jenem Moment fühlte ich mich mehr daheim als je zuvor.
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