Helft euch doch selber!
Mit einer Mischung aus Untätigkeit und Ausreden prellen Airlines sitzen gelassene Passagiere um ihre Rechte.
Von Thomas Müller Die Absage kam über Lautsprecher nach mehreren Stunden des Wartens: Der Easyjet-Flug von Basel nach Alicante sei annulliert, Passagiere könnten sich im Internet selber auf einen anderen Flug umbuchen. Ende der Durchsage. Keine Angaben zum Grund, keine Erfrischungen, keine Information über die Rechte, die Passagiere bei Annullierungen haben. «Sie liessen uns einfach stehen und wollten sich nicht einmal um die Umbuchung kümmern», empört sich Rolf Meyer aus Lachen SZ. Zusammen mit seiner Partnerin begab er sich zum Easyjet-Schalter, wo eine einzige Angestellte bereits damit beschäftigt war, andere unzufriedene Passagiere abzuwimmeln. Bei Meyer funktionierte das nicht, er bestand auf einer Umbuchung vor Ort. «Im Internet hätte ich dafür sogar noch eine Gebühr zahlen müssen», sagt er. Erst drei Tage später, am 26. Juli 2010, konnte das Paar endlich Richtung Süden abheben. Die Wartezeit verbrachte es in einem Basler Hotel, die Kosten übernahm Easyjet. Eine Entschädigung von 250 Euro pro Person, die eine auch in der Schweiz gültige EU-Verordnung für solche Fälle vorsieht (siehe Artikel unten), erhielten die beiden nicht. Sie hätten auch keine verlangt, sagt Meyer: «Nachdem wir schon früher die Erfahrung gemacht haben, dass Easyjet Reklamationen nicht beantwortet, haben wir uns die Mühe gespart.» Die meisten Passagiere würden sich aus Unwissen oder aus Resignation nicht wehren, ist Meyer überzeugt. Die Airline betreibe eine «Zermürbungstaktik». 22 Stunden zu spät am Ziel Zermürbt fühlt sich auch N. Z., nach zwei Jahren Kampf mit Air Berlin. Die Frau und ihr Freund wollten am 5. Oktober 2008 mit der Air-Berlin-Tochter Belair von Zürich nach Phuket fliegen. Am Check-in wurde ihnen beschieden, der Flug falle wegen eines technischen Defekts aus, und sie sollten sich am nächsten Tag nach der neuen Startzeit erkundigen. Schliesslich erreichte das Paar sein Ziel mit 22 Stunden Verspätung. Auch hier: keine Betreuung und keine Information über die Passagierrechte. Dabei schreibt die EU-Verordnung den Airlines ausdrücklich vor, ihre Kunden bei Annullierungen und Verspätungen ab zwei Stunden über ihre Rechte zu informieren – und zwar schriftlich. Air Berlin übernahm zwar viel später «ohne Anerkennung einer Rechtspflicht» die Zug- und Verpflegungsspesen von N. Z. und Partner in Höhe von 170 Euro. Die für Langstreckenflüge vorgesehene Entschädigung von 600 Euro pro Person verweigerte sie ihren Kunden jedoch. Begründung: Die technische Störung sei «nicht zu vermeiden» gewesen. Tatsächlich müssen die Fluggesellschaften ihre Kunden laut der Verordnung nicht entschädigen, wenn eine Absage wegen aussergewöhnlicher und unvermeidbarer Umstände erfolgt. Bloss: Technische Defekte fallen nicht darunter, wie der Europäische Gerichtshof Ende 2008 entschieden hat. Es ging um einen Alitalia-Flug von Wien über Rom nach Brindisi. Weil der Flug von Wien nach Rom wegen eines Triebwerkschadens annulliert werden musste, erreichten die Passagiere ihr Ziel viel zu spät. Dennoch wollte Alitalia keine Entschädigungen zahlen – zu Unrecht, wie die Richter befanden. Behörden lassen sich Zeit «Seither können sich die Airlines nur noch entlasten, wenn ein technisches Problem auf eine nicht beherrschbare äussere Ursache wie Blitz- oder Vogelschlag zurückzuführen ist», sagt der Reiserechtsspezialist Rolf Metz. «Im Streitfall müssen sie das beweisen.» Andere Beispiele für aussergewöhnliche Umstände sind Terroranschläge, Naturkatastrophen oder extremes Wetter. Trotz der klaren Rechtslage erhielt N. Z. auch vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) keine Unterstützung. Das Amt, das für die Einhaltung der EU-Verordnung in der Schweiz zuständig ist, schmetterte ihre Beschwerde nach einem halben Jahr mit einem einzigen Satz ab: «Die genaue Überprüfung des Sachverhalts und der Stellungnahme des Luftfahrtunternehmens hat ergeben, dass das Bazl einen Verstoss gegen die Bestimmungen der Verordnung ausschliesst.» Begründung? Fehlanzeige. Nicht gut auf die Aufsichtsbehörden zu sprechen ist auch Daniel Affeltranger aus Winterthur. Er wartet seit über drei Monaten auf eine Antwort des deutschen Luftfahrt-Bundesamts. Affeltranger war im Juni zusammen mit 16 Kollegen in Berlin gestrandet, als Air Berlin ihren Rückflug nach Zürich nach stundenlanger Wartezeit kurz vor Mitternacht absagte (TA vom 5. Juli 2010). «Am einzigen offenen Schalter sagte man mir um halb ein Uhr morgens, es gebe für uns keine freien Hotelzimmer mehr und wir müssten selber schauen.» Nur dank Beziehungen fand Affeltranger für seine Gruppe doch noch eine Unterkunft. Die Rechnung von über 1000 Euro bezahlte er aus dem eigenen Sack. Es brauchte einen Brief an Air-Berlin-Chef Joachim Hunold, um das Geld zurückzuerhalten. «Kaum haltbare Argumente» Im Antwortschreiben von Air Berlin heisst es, der Grund für die Verzögerung seien «Kapazitätseinschränkungen am Flughafen Zürich» gewesen, weshalb die Maschine nicht rechtzeitig in Berlin eingetroffen sei. Gegenüber dem TA hatte Air Berlin die Absage im Juni mit einer «Fehleranzeige im Cockpit» begründet. Auf Nachfrage hin bestätigt die Airline die Version mit den Kapazitätseinschränkungen. Dabei handle es sich um einen aussergewöhnlichen Umstand, den sie nicht beeinflussen könne. Ergo: keine Entschädigung für die Passagiere. Ähnlich, nämlich mit «Verzögerungen bei der Luftsicherung», argumentiert auch Easyjet im eingangs geschilderten Fall. Rechtsprofessor Vito Roberto von der Universität St. Gallen schüttelt darüber den Kopf: «Engpässe an Flughäfen und am Himmel sind für Airlines doch nichts Aussergewöhnliches, sondern Alltag. Leider speisen Fluggesellschaften ihre Kunden immer wieder mit rechtlich kaum haltbaren Argumenten ab.» Ein beliebtes Mittel der Airlines ist auch, statt von einer Annullierung von einer Verspätung zu sprechen. Der Grund: Für Verspätungen sieht die EU-Verordnung keine Entschädigungen vor. Seit der Europäische Gerichtshof im Jahr 2009 entschieden hat, dass Verspätungen ab drei Stunden wie Annullierungen zu behandeln sind, ist diese Waffe allerdings stumpf geworden. Im Urteil ging es um einen Flug von Toronto nach Frankfurt mit der deutschen Chartergesellschaft Condor. Die Maschine kam wegen einer Panne mit 25 Stunden Verspätung am Ziel an. Nach Ansicht der Richter befanden sich die Passagiere in der gleichen Lage wie Fluggäste, die wegen einer Annullierung umgebucht werden und ebenfalls verspätet ankommen. Deshalb stehe auch ihnen eine Entschädigung zu. Airlines kämpfen gegen Urteil Ein schwerer Schlag für die Airlines, deren Ticketpreise oft tiefer sind als die Entschädigungen in der Verordnung. Kein Wunder deshalb, dass sie nichts unversucht lassen, dieses Urteil umzustossen. Einen ersten Erfolg erzielten sie im August, als das höchste englische Gericht in einem anderen Fall entschied, die Frage nochmals dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. «Es ist damit zu rechnen, dass sich die Airlines auch in Kontinentaleuropa weigern, bei grossen Verspätungen Entschädigungen zu leisten, bis die Rechtslage geklärt ist», sagt der Reiserechtler Rolf Metz. Eine der Klägerinnen war übrigens Easyjet. «Am einzigen offenen Schalter sagte man mir nach Mitternacht,wir müssten selber ein Hotelzimmer suchen.» Daniel Affeltranger, Flugpassagier Weshalb kommt der Flieger nicht? Air Berlin begründete Absage einmal so, einmal anders. Foto: Rainer Drexel, Keystone
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