
Drei- bis viermal pro Jahr feiert ein neues Projekt von mir Premiere, und das Ritual ist immer das gleiche. Das Publikum jubelt oder buht, dann gibt es ein Gläschen Sekt oder ein Bier. Einige befreundete Künstler sagen mir ihre Meinung – freundlich, aber bestimmt. Und wenn alles vorbei ist, der Kater ausgeschlafen, dann erscheinen die Kritiken.
Einige davon sind gut, einige sind schlecht, je nach Geschmack der Verfasserin oder des Verfassers. Die kritischsten Anmerkungen kommen jeweils aus der Schweiz. Vielleicht liegt das in unserer Mentalität, jedenfalls finden die Zeitungen aus Zürich oder Genf, auch wenn es ihnen gefallen hat, meistens ein Haar in der Suppe. Und das ist gut so. Ich lese meine Kritiken immer sehr genau, meistens lerne ich etwas dabei. Auch wenn es natürlich oft schmerzhaft ist.
Problematisch wird es, wenn die Ablehnung total ist. Das ist bei der NZZ der Fall, die seit etwa eineinhalb Jahren alle meine Arbeiten vernichtet, und zwar völlig unabhängig von ihrem jeweiligen Thema oder ihrer Form. Ab und zu werde ich von ausländischen Freunden gefragt, warum das so sei. Während mich beispielsweise die deutschen Kritiker für mein vorletztes Stück «Five Easy Pieces» soeben zum «Schauspielregisseur des Jahres» gewählt haben und ihre belgischen Kollegen mir ihren jährlichen Kritikerpreis zusprachen, fand die NZZ das Stück nur «manipulativ» und «selbstgefällig».
«Schon zu Lebzeiten war der russische Revolutionsführer ein Hassobjekt der NZZ»
Für die am Schauspielhaus Zürich aufgeführten «120 Tage von Sodom», das in Deutschland und Frankreich als schwer zu ertragendes, aber auch zutiefst menschliches Theaterwerk rezipiert wurde, forderte die NZZ «Wiedergutmachung» bei den geistig behinderten Schauspielern, die sie gleichzeitig – was ihr moralisches Argument etwas schwächte – als «Vorzeige-Behinderte» verspottete. Sogar das von der kongolesischen Bevölkerung euphorisch begrüsste «Kongo Tribunal», das sich gegen die Vertreibung von Hunderttausenden von Menschen durch westliche Rohstoffkonzerne richtet, verführte die NZZ zur Frage: «Werden hier Menschen benutzt?» Gemeint war der Dokumentarfilm zum Projekt, nicht die Politik der Rohstoffkonzerne.
Ich weiss: Man soll seinen Kritikern nicht antworten. Und dass es zwischen einem, der (auch) Schweizer Rohstoffkonzerne anklagt, und einer rechtsliberalen und wirtschaftsnahen Zeitung einige weltanschauliche Differenzen gibt, ist logisch. Aber warum immer dieser pseudomoralische, persönliche Manipulationsvorwurf? Und warum nur bei der NZZ – übrigens der Zeitung, bei der ich vor fast 20 Jahren meine ersten Literaturkritiken veröffentlichte?
Doch Schwamm drüber. Mein nächstes Stück, das im Oktober Premiere hat, handelt von Lenin. Schon zu Lebzeiten war der russische Revolutionsführer ein Hassobjekt der NZZ und ist es bis heute geblieben. Das wird wohl dieses Jahr nichts mehr mit mir und der Falkenstrasse.
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Hau den Rau!
Warum es von der NZZ nichts als Verrisse gibt. Eine Kolumne von Milo Rau.